7.2.2

Wichtige Rahmenbedingungen und Voraussetzungen bei der Planung und Gestaltung sowie erste konkrete Aktivitäten (Phase 3 und 4)

Analog der in Kapitel 7.1 dargestellten Phasenabfolge bestehen die ersten zwei Phasen vor allem aus Planungs- und Koordinierungsaktivitäten. In Phase 3 soll ein entsprechender inklusiver Plan entworfen und in Phase 4 sollen konkrete Aktivitäten umgesetzt werden. In den Modelleinrichtungen lassen sich diese Phasen ebenfalls wieder finden. Konkrete Rahmenbedingungen, die es vor der Durchführung von inklusiven Aktivitäten zu beachten gilt, wurden jedoch nicht immer im Vorfeld systematisch durchdacht. Dies liegt jedoch in der Natur der Sache, man lernt sozusagen aus Erfahrungen. Im Folgenden werden daher die notwendigen und zu beachtenden Rahmenbedingungen (Phase 3) eher als Resultat der gemachten Erfahrungen (Phase 4) dargestellt. Auch hier zeigt sich, dass die oben beschriebene Phasenabfolge in der Realität nicht immer linear durchlaufen werden kann und es manchmal auch wichtig ist, mit Aktivitäten und Projekten zu experimentieren, diese zu bewerten und aus gemachten Erfahrungen zu lernen. In den untersuchten Modeleinrichtungen stand daher häufig das Motto im Vordergrund: Einfach machen!

Wie bereits oben erwähnt wurde, verfügten alle Modelleinrichtungen bereits vor Projektbeginn über (erste) Erfahrungen im Umgang mit behinderten Besucher*innen bzw. Teilnehmer*innen sowie über Kontakte zu Anbietern der Behindertenhilfe. In den meisten Fällen beziehen sich diese Erfahrungen aber auf konkrete Projekte und Aktivitäten (z.B. Sommerfreizeiten, integrative Angebote usw.). Die Erfahrungen sind in allen vier Modellstandorten positiv, wenngleich es sich nicht immer um „wirkliche“ inklusive Aktivitäten handelte. An manchen integrativen Angeboten nahmen beispielsweise nur behinderte Menschen teil, obwohl das Angebot explizit als „integratives“ Angebot ausgeschrieben wurde. Kam es aber zu Kontaktsituationen zwischen Kindern bzw. Jugendlichen mit und ohne Behinderung, so sind die Erfahrungen durchaus gut. Dass Jugendliche mit und ohne Behinderung bislang eher selten in Kontakt traten, wird vor allem durch die unterschiedlichen Interessen und den sich voneinander unterscheidenden Lebenswelten erklärt. Ferner scheint das Alter ein wesentlicher Aspekt im Gelingen inklusiver Freizeitaktivitäten zu sein. Insbesondere bei jüngeren Kindern bzw. Jugendliche lassen sich weniger Berührungsängste beobachten. Abgesehen vom Alter ist der Erfolg inklusiver Freizeitangebote von der Art der Behinderung abhängig. Dies ließ sich beispielsweise bei der Inklusion eines autistischen Kindes beobachten; hier gestaltete sich die Schaffung von Kontaktsituationen als eher schwierig. Trotz dieses Beispiels wird aber einhellig die Anwesenheit von BesucherInnen mit Behinderung als Bereicherung gesehen. Beispielsweise berichtet die Leiterin des Jugendhauses, in dem verlässliche Unterstützungsstrukturen für ein schwerstmehrfachbehindertes Mädchen aufgebaut wurden, davon, dass sich die oftmals eher negativ auffallenden Stammbesucher*innen „rührend“ um das behinderte Mädchen kümmern und damit auch Verantwortung und Empathie lernen würden. Entsprechend würden sich auch die sozialen Kompetenzen der nichtbehinderten Jugendlichen durch Inklusion verbessern.

Wichtige Rahmenbedingungen für den Erfolg eines inklusiven Angebots sind jedoch vor allem die Art und das Ziel des jeweiligen Angebots. So eignen sich insbesondere musische Aktivitäten und offene Angebote. Leistungsorientierte Angebote und zeitlich getaktete Aktivitäten, wie z.B. die Durchführung eines Mittagstischs, scheinen sich nach den gemachten Erfahrungen in einem Modellstandort weniger für die Inklusion von Menschen mit Behinderung zu eignen. Die überwiegenden positiven Erfahrungen der Modelleinrichtungen gehen bislang auf folgende umgesetzte Angebote zurück: (1) Sommerferienfreizeit/Kinderspielstadt, (2) Inklusive Ausflüge wie z.B. Ausfahrten an den Bodensee, (3) Diverse regelmäßig stattfindende offene Angebote wie z.B. das„Café Inklusive“, das seitens einer Einrichtung der Behindertenhilfe organisiert und durchgeführt wird, Konzerte, Karaoke-Aktionen, inklusive Kindergruppen etc.

Auch aus anderen Modellprojekten [2] lassen sich Schlüsse zur Eignung und Planung von spezifischen Angeboten ziehen. Zu nennen sind hierbei beispielsweise eine inklusive Zirkusprojektwoche, der regelmäßige offene Bereich eines Jugendhauses sowie Besuche und die Mitarbeit in einem Tierheim. Weiterhin konnten auch in inklusiven Sportangeboten wie Ju-Jutsu oder in gemeinsamen Kochaktivitäten positive Erfahrungen gesammelt. Wichtig ist dabei allerdings, dass vor allem bei Sportangeboten bzw. wettbewerbsorientierten Angeboten Statusunterschiede vermieden und Angebotsinhalte zugunsten behinderter TeilnehmerInnen modifiziert werden. Weiterhin müssen die Aktivitäten auf Freiwilligkeit basieren. So lässt sich Akzeptanz und gegenseitige Offenheit jenseits von Verpflichtungen schaffen. Gegebenenfalls bietet sich daher auch die Möglichkeit zu Wahlangeboten an (etwa auf Ferienfreizeiten). Zudem sollten alle TeilnehmerInnen das Angebot interessenorientiert mitgestalten dürfen. Zuletzt bedarf es für den Erfolg inklusiver Aktivitäten insbesondere Angebote, die auf gemeinsame, zielorientierte Tätigkeiten an einem Gegenstand setzen und in kleinen Gruppen durchgeführt werden können. Letzteres mindert die Gefahr eines zunehmend aufkommenden Lärmpegels, der sich insbesondere für Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung als anstrengend erweist. Angebote, die auf Gemeinschaftserleben setzen, fördern generell Kontaktsituationen und führen dementsprechend zum Abbau von Berührungsängsten. Das Ziel des gemeinschaftlichen Angebots sollte dabei allerdings möglichst offen sein (vgl. Kieslinger/Meyer 2013, S. 25f.).

Eine Rolle spielt aber auch das Bewerben der Angebote. Während das offene Ausschreiben für ein inklusives Angebot für Menschen ohne Behinderung eher abschreckend wirkt, nehmen Menschen mit Behinderung an gerade diesen Aktivitäten am ehesten teil, wenn sie explizit eingeladen werden. Wird ein Angebot also explizit als inklusives Angebot ausgeschrieben, so kann es sein, dass nahezu keine nichtbehinderten Besucher*innen kommen. Wird ein Angebot jedoch nicht explizit als inklusives Angebot beworben, kann es sein, dass es keine behinderten TeilnehmerInnen anspricht. Hier gilt es, die jeweiligen Vor- und Nachteile abzuwiegen und einen entsprechenden Sprachstil zu finden.

Eine weitere zentrale Rahmenbedingung ist der Aufbau von Kooperationen. Deutlich wurde in den Interviews, dass alle Einrichtungen mit anderen Akteur*innen und Einrichtungen im Stadtteil vernetzt sind. Insbesondere Mehrgenerationenhäuser sind z.B. regelrechte „Geflechte an Kooperationen“. Alle Modelleinrichtungen stehen zudem im Kontakt mit Einrichtungen der Behindertenhilfe. Dabei sind Wohn- und Werkstätten zu nennen, Offene Hilfen, Förderschulen, diverse Selbsthilfegruppen und Vereine für Menschen mit und ohne Behinderung sowie Elterninitiativen. Dabei teilt sich ein Modellstandort z.B. auch eine FSJ-Stelle mit einer Einrichtung der Behindertenhilfe (jeweils 50% der Arbeitszeit). Diese Teilung hat sich beispielsweise im Hinblick auf die Organisation und Durchführung eines gemeinsamen inklusiven Angebots als äußerst fruchtbar erwiesen.

Der hohe Stellenwert von Kooperationsbeziehungen zwischen relevanten Akteur*innen und Einrichtungen im Stadtteil bestätigte sich auch im Modellprojekt des Neckar-Odenwald-Kreises. So kooperieren die Träger der Angebote der Jugendarbeit z.B. bei der Planung und Durchführung des inklusiven Sommerferienprogramms eng mit einer ortsansässigen Einrichtung der Behindertenhilfe (vgl. Kieslinger/Meyer 2013, S. 38).

Weiterhin ist die Bedeutung des Wissens über das Thema Behinderung zu nennen. Dieses gilt es im Vorfeld von Aktivitäten zusammenzutragen. Besteht Wissensbedarf, wird dieser häufig theorie- aber auch praxisgeleitet erschlossen. So wird das Wissen über das Internet oder auch durch den Besuch diverser Fachvorträge erlangt. Ebenso spielt die praktische Erfahrung mit inklusiven Kontaktsituationen eine Rolle. Darüber hinaus greifen die AkteurInnen auf das Wissen von Eltern von Kindern mit Behinderung zurück und fragen bei Bedarf die betroffenen Personen selbst.

Eine zentrale Bedeutung in der Planung von Angeboten und Aktivitäten nimmt die Sicherstellung der Unterstützung ein. Oftmals „scheitern“ Angebote daran, dass eine spezifische Unterstützung nicht gewährleistet ist, häufig auch mangels Wissen über Behinderungen (siehe oben). Dazu eignen sich zuallererst Kooperationsbeziehungen mit Einrichtungen der Behindertenhilfe. Es ist aber auch möglich, informelle Unterstützungsstrukturen aufzubauen, wie dies beispielsweise in einem Fall aufgrund der anfallenden Unterstützung eines schwerstmehrfachbehinderten Mädchens gelang (das Beispiel wurde bereits oben beschrieben). Zur gezielten Planung von Unterstützung behinderter Kinder und Jugendlicher gibt es einige Methoden, die auch von Einrichtungen der Jugendarbeit angewendet werden können. Hierbei können insbesondere Ehrenamtliche einbezogen werden. Die bekannteste Methode hierzu sind sogenannte Unterstützerkreise (‚Circle of friends/support‘) bzw. die persönliche/personenzentrierte Zukunftsplanung (‚person-centered planning‘). Die Unterstützerkreise zielen vor allem auf die systematische Organisation der Unterstützung eines Menschen mit Behinderung und setzen sich aus verschiedenen Personen des sozialen Nahraums der Fokusperson zusammen (z.B. Freund*innen, Nachbar*innen, Familienmitglieder etc.). In regelmäßigen Treffen werden dabei Aufgaben verteilt und die unmittelbare Unterstützung organisiert. Zudem verhelfen sie der betroffenen Person zur Erreichung der von ihr selbstbestimmten Ziele und zur Verwirklichung ihrer persönlichen Lebensvorstellungen. Selbstbestimmung und Selbstvertretung, Empowerment und Inklusion stellen Leitgedanken des Unterstützerkreises dar. Solche Unterstützerkreise könnten beispielsweise unter Verwendung der entsprechenden Methoden durchaus auch in den entsprechenden Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit aufgebaut und organisiert werden, etwa mit Besucher*innen oder externen Ehrenamtlichen (Methoden: Visualisierung des Bedarfs auf einer Landkarte, Markierung und Festlegung der Unterstützerpersonen auf konzentrisch angeordneten Kreisen).

Ein Unterstützerkreis kann dann auch für die Vorbereitung einer persönlichen bzw. personenzentrierten Zukunftsplanung genutzt werden. Zunächst muss die soziale Situation der betroffenen Person und ihre vorhandenen Umfeldressourcen analysiert werden, um dann die Teilnehmer*innen der Zukunftsplanung bzw. -konferenz festzulegen. In einem ersten Treffen der Zukunftsplanung werden dann gemeinsam mit der Fokusperson anhand zweier Methoden ihre Situation sowie ihr Potenzial erfasst. Hierfür eignen sich die Methoden MAP (‚Making Action Plan‘) und PATH (Planning Alternative Tomorrow with Hope). Die MAP-Methode sollte dabei in Situationen eingesetzt werden, in denen das Kennenlernen der Anwesenden im Mittelpunkt steht. Gemeinsam arbeiten sie die zukünftige Träume sowie Albträume, Eigenschaften, Vorlieben, Stärken, Begabungen und Bedürfnisse der Fokusperson heraus. Mittels der PATH-Methode werden diese Planungsaspekte dann konkretisiert: Hier findet sowohl die weitergehende Klärung von Visionen und Zielsetzungen als auch die Konkretisierung von Veränderungen statt (vgl. dazu ausführlich Boban 2008; Doose 2011; Windisch 2011 sowie die vielfältigen Informationen auf der Internetplattform www.inklusionspaedagogik.de).

Im Rahmen eines Projekts des Kreisjugendrings Rems-Murr e.V. wurden bereits Erfahrungen mit der Umsetzung sogenannter Unterstützerkreise bzw. Zukunftskonferenzen gemacht. Wünsche, die konkret seitens Menschen mit Behinderung geäußert wurden, waren beispielsweise Freizeitmöglichkeiten, gleichaltrige Freunde oder eine Praktikumstelle. Insgesamt seien die Wünsche, laut der Leiterin dieser Zukunftskonferenzen, sehr bescheiden, was damit zusammenhängt, dass viele der betroffenen Personen entweder keine Wünsche äußern können oder sich nicht trauen. So gehe „das Er-Lernen der Fähigkeit, mit der eigenen Behinderung zu leben, […] oft einher mit dem Ver-Lernen des Wünschens und des Träumens“ (Kreis-Jugendring Rems-Murr e.V. 2013).

Was schließlich die Inhalte konkreter Angebote, Aktivitäten oder Projekte zur Umsetzung und Förderung des Inklusionsprozesses in Einrichtungen betrifft, so lässt sich ein enormer Ideenreichtum beobachten. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Aus Gründen der Systematisierung und zur besseren Veranschaulichung der verschiedenen Inhalte kann allerdings zwischen Aktivitäten zur Sensibilisierung und inklusiven Aktivitäten unterschieden werden.

Sensibilisierungsaktivitäten richten sich in der Regel an nichtbehinderte Menschen (aber nicht nur!) und sollen dazu beitragen, diese für die Belange behinderter Menschen zu sensibilisieren. Hierbei müssen Menschen mit Behinderung nicht zwangsläufig mit dabei, d.h. räumlich anwesend sein. Es handelt sich eher um Aktivitäten mit Bildungsziel, d.h. solche Aktivitäten sind auf der Ebene der inklusiven Kulturen angesiedelt. Ziel ist es, eine inklusive Haltung in der Besucherschaft bzw. der Bevölkerung zu erzeugen. Bereits in den ersten beiden Phasen, in denen es darum geht, die Einrichtung auf das Thema Inklusion vorzubereiten, finden fortwährend Sensibilisierungsaktivitäten statt, etwa die Inklusionsforen oder Fortbildungsangebote für ehrenamtliche Kräfte. So wurden in den Modelleinrichtungen des Kreisjugendrings Esslingen e.V. beispielsweise ein Workshop zum Thema Inklusion in die Fortbildungsreihe für Ehrenamtliche aufgenommen oder Fachvorträge zum Thema Autismus durchgeführt. Eine Modelleinrichtung plant, wie bereits erwähnt, den Aufbau eines geschulten Assistenzpools, wobei die Assistenzkräfte nicht nur im Hinblick auf die Betreuung von Kindern/Jugendlichen mit Behinderung geschult werden, sondern auch im Hinblick auf einen angemessenen Umgang mit Gruppenprozessen. Innovative Sensibilisierungsaktivitäten sind darüber hinaus Simulationsaktionen wie z.B. Rollstuhlparcours, Aktionen im Dunkeln (Dunkelrestaurants, ‚Blind-Date-Dinner‘), Blindentischtennis, Sinnesparcours oder der ‚Rollmops‘. Beim ‚Rollmops‘ werden alltägliche Erfahrungsberichte von einem Rollstuhlfahrer erzählt (z.B. als Film oder auch als Lesung). Dadurch sollen nicht nur Menschen ohne Behinderung Einblicke in die Lebensumstände eines Rollstuhlfahrers erlangen, sondern auch Menschen mit Behinderung Mut gemacht werden (weitere Infos unter: www.abenteuer-inklusion.net/projekte/der-rollmops/). Besonders nützlich sind insgesamt natürlich Kooperationen mit ortsansässigen Einrichtungen oder Interessensvertretungen behinderter Menschen. Bei einem örtlichen Blindenverein konnten z.B. spezielle Brillen für Sensibilisierungsaktionen gemietet werden, um so Kinder und Jugendliche ohne Behinderung für das Erleben von Menschen mit einer Sehstörung zu sensibilisieren. Ein weiteres spannendes Projekt zur Sensibilisierung stellen Comic-Geschichten dar. Diese handeln von einem gemeinsamen WG-Leben dreier Menschen mit Behinderung und eines jungen Mannes, der seinen Bundesfreiwilligendienst ableistet. In den Comics werden die normale WG-Dynamik und die üblichen Alltagsabenteuer mit viel Witz und Selbstironie dargestellt, mit dem Ziel, das unverkrampfte Miteinander der Gesellschaft zu fördern und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen mit und ohne Behinderung aufzuzeigen (vgl. dazu: www.jugendarbeit-rm.de/presse/comics-als-brucke-zwischen-menschen-mit-und-ohne-behinderung). Spannend kann es auch sein, gemeinsam mit nichtbehinderten Jugendlichen Barrieren im Sozialraum zu identifizieren, um sie damit für die Belange von behinderten Menschen zu sensibilisieren, etwa in Form einer Begehung einer Freizeiteinrichtung oder des örtlichen Freibads. Im Rems-Murr-Kreis wurde im Rahmen eines Projekts des Kreisjugendrings Rems-Murr e.V. ein Naherholungssee von nichtbehinderten Jugendlichen komplett barrierefrei und zugänglich gemacht. Dabei wurden u.a. auch Boote gebaut, auf denen Rollstühle befördert werden können sowie blindengerechte Orientierungshilfen und behindertengerechte Badeeinstiege eingerichtet (ausführlich dazu: www.abenteuer-inklusion.net/projekte/waldsee-und-mettelberg/). Neben diesen Aktionen ist zuletzt an einem Modellstandort im Landkreis Esslingen aktuell eine besondere Sensibilisierungsaktion geplant, mit dem Ziel, die örtliche Wohnbevölkerung umfassend zu sensibilisieren. Dabei gestalten Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam verschiedene Plakate mit unterschiedlichen Slogans, wie etwa „25% aller Menschen sind blond“, „0,5% aller Menschen leiden an dem Asperger Syndrom“, „1,36 Millionen Menschen sind Rollstuhlfahrer“ etc. Diese Sprüche werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten über mehrere Monate in der Stadt an verschiedenen Stellen und öffentlichen Plätzen plakatiert. Auf jedem Plakat wird ein Hinwies auf eine Homepage veröffentlicht. Sowohl die Plakate als auch die Homepage werden von den Jugendlichen mit und ohne Behinderung eigenständig entworfen. Durch diese Plakatoffensive soll die Vielfalt der Menschen dargestellt und die Wohnbevölkerung darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine Behinderung in der Gesellschaft keine Andersartigkeit darstellt.

Inklusive Aktivitäten sind hingegen Angebote, an denen behinderte und nichtbehinderte Menschen teilnehmen und insbesondere die Kontaktsituation und das gemeinsame Tun und Erleben im Mittelpunkt stehen. Sensibilisierung ist hierbei jedoch oftmals ebenso Bestandteil dieser Angebote. Dies können Aktivitäten im Bildungs-/Kultur-/Sport- und Spielbereich sowie besonders innovative Beispiele wie die Aktion ‚Pimp your wheel‘ sein. Diese Aktion soll an einem Modellstandort im Landkreis Esslingen in Verbindung mit einem anschließenden Rolliparcours stattfinden. Auf Wunsch von BesucherInnen mit Gehbehinderung sollen Jugendliche ohne Behinderung Rollstühle ‚aufpimpen‘ (z.B. Einbau von Unterbodenbeleuchtungen, einem Spoiler, einer Musikanlage oder eines Getränkehalters). Weitere Beispiele von inklusiven Aktivitäten sind die Durchführung eines inklusiven Holzbackofenbauprojekt zur Förderung des Gemeinschaftserleben, integrative Freizeiten, Theatergruppen oder eine Zirkusprojektwoche, in der Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam mit einem/r BetreuerIn eine Choreographie einüben, die sie dann gemeinsam vor einem Publikum präsentieren. Dadurch wird nicht nur ihr Bewusstsein für ihr Körpergefühl geweckt, sondern auch ihre Beziehungsfähigkeit, ihr Selbstwert und ihre Kreativität gefördert (vgl. dazu die Infos unter: www.centrum-mikado.de/circus/philosophie.php). Erfahrungen aus dem Modellprojekt im Neckar-Odenwald-Kreis zeigen, dass beispielsweise im Rahmen des Zirkusprojekts die Unterschiede zwischen den TeilnehmerInnen während der Einübung der Choreographie nicht thematisiert wurden, sondern stattdessen eine Durchmischung der Gruppe stattfand (vgl. Kieslinger/Meyer 2013, S. 25). Im Rems-Murr-Kreis fand weiterhin ein inklusiver Knigge-Kurs statt, bei welchem Jugendlichen mit und ohne Behinderung gemeinsam an vier Terminen „richtiges“ Benehmen im Alltag, Freundlichkeit und stillvolle Manieren am Tisch erlernten sowie Ratschläge für Vorstellungsgespräche erhielten. Neben diesen Kompetenzen berichtete eine nichtbehinderte Teilnehmerin von einer persönlichen Bereicherung durch Jugendliche mit Behinderung und davon, dass sie sich den Umgang mit dieser Personengruppe vor ihrer Teilnahme anders vorstellte (vgl. www.jugend-arbeit-rm.de/kreisjugendring-rems-murr/knigge-inklusiv-und-integrativ). Aber selbst Sportangebote sind denkbar und sinnvoll. Solche Sportangebote wurden an verschiedenen Standorten in Kooperation mit ProfisportlerInnen und/oder ortsansässigen Vereinen, die für das Event das notwendige Know-How und Equipment stellten, angeboten (Rollstuhlfechten, Rollstuhlbasketball oder Rollstuhltischtennis).
Beide Formen – sowohl Sensibilisierungsaktivitäten als auch konkrete inklusive Angebote – sollten jedoch parallel durchgeführt werden. Inklusive Angebote sind beispielsweise oftmals darauf angewiesen, dass die nichtbehinderten TeilnehmerInnen (im Vorfeld) für die Belange behinderter Menschen sensibilisiert werden.

Zusammenfassung: Für den Erfolg eines inklusiven Vorhabens sind zunächst die Art und das Ziel der jeweiligen Aktivität relevant. Letzteres sollte eher offen gehalten werden. Zudem sollten inklusive Angebote auf Gemeinschaftserleben setzen, auf Partizipation und Freiwilligkeit beruhen sowie in kleinen Gruppen durchgeführt werden. Was das Bewerben des Angebots betrifft, sollte man hierzu vorab die Vor- und Nachteile abwägen und einen entsprechenden Sprachstil finden. Für die Planung und konkrete Umsetzung sind Kooperationen mit anderen Einrichtungen im Stadtteil und Institutionen der Behindertenhilfe, das Einholen von Informationen über das Thema Behinderung und die Sicherstellung der Unterstützung von Nöten. Prinzipiell muss zwischen Sensibilisierungsaktionen und inklusiven Aktivitäten unterschieden werden. Beides sollte jedoch parallel und – wenn möglich – thematisch verschränkt geplant und durchgeführt werden.

[2] Die folgenden Darstellungen beziehen sich auf Erfahrungen aus den vom Kommunalverband für Jugend und Soziales in Stuttgart initiierten Modellprojekten im Alb-Donau-Kreis (Baustein 1.7 „Inklusion in Freizeitangebote und Wegweiser Freizeitangebote“) und Neckar-Odenwald-Kreis (Baustein 1.8 „Inklusion von Kindern und Jugendlichen“). Diese Projekte wurden über einen zweijährigen Zeitraum durch das Institut für angewandte Sozialwissenschaft wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Der Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung befindet sich im Erscheinen (Kieslinger/Meyer 2013).

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Vorgehensweise bei der Umsetzung von Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit
7.1 Leitindikatoren für die Prozessgestaltung 7.1.1 Phase 1: Mit dem Index beginnen 7.1.2 Phase 2: Die Einrichtungssituation beleuchten 7.1.3 Phase 3: Einen inklusiven Plan entwerfen 7.1.4 Phase 4: Den inklusiven Plan in die Praxis umsetzen 7.1.5 Phase 5: Den Index-Prozess evaluieren 7.2 Erfahrungen mit der Umsetzung von inklusiven Aktivitäten in der Kinder- und Jugendarbeit – ausgewählte Praxisbeispiele 7.2.1 Der Beginn des Prozesses: Bildung von Inklusionsteams, Auftaktveranstaltungen, Planung der Unterstützung (Phase 1 und 2) 7.2.2 Wichtige Rahmenbedingungen und Voraussetzungen bei der Planung und Gestaltung sowie erste konkrete Aktivitäten (Phase 3 und 4) 7.2.3 Den Prozess nachhaltig unterstützen und evaluieren (Phase 5)
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