3.5

Inklusion ist auf soziale Lernprozesse und Akzeptanz aller BürgerInnen eines Gemeinwesens angewiesen

Neben dem Schwerpunkt Schule sollte die Idee der Inklusion überall eine Rolle spielen, da die Inklusion von Menschen mit Behinderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. Demnach sind inklusive Prozesse umfassender anzustoßen, etwa bereits in Kindertagesstätten, in außerschulischen Bildungsinstitutionen, in der Arbeitswelt, aber auch im freizeitpädagogischen Bereich (etwa in der Kinder- und Jugendarbeit, in Jugendkunstschulen, in Vereinen und Verbänden).

So ist beispielsweise davon auszugehen, dass nichtbehinderte Menschen aufgrund fehlender Lernerfahrungen infolge der jahrzehntelangen Separation von Menschen mit Behinderung im Umgang mit diesen eher unsicher und ungeübt sind. Nicht selten kann es deswegen zu Berührungsängsten oder sogar Spannungen und Auseinandersetzungen kommen, etwa was die Inklusion von Menschen mit Behinderung in einen Verein betrifft. Aus diesem Grunde sind die Kontaktsituationen häufig durch bestimmte Sensibilisierungsmaßnahmen („Awareness Rising“) zu begleiten, damit nichtbehinderte Menschen ein Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungserfahrung entwickeln können und die Lernerfahrungen im Kontakt und im Umgang mit Menschen mit Behinderung positiv verlaufen.

Pädagogische Konzepte müssen sich hierbei allesamt auf den Umgang mit und die Wertschätzung von Andersartigkeit bzw. Vielfalt beziehen. Insbesondere Institutionen, die eher homogene Personengruppen ansprechen (etwa auf Individualleistung setzende Sport- oder Musikvereine, politische und religiöse Verbände, Kulturvereine usw.) sind hier gefordert, sich der inklusiven Idee stärker zu öffnen und entsprechende Konzepte zu entwickeln. Einrichtungsleitungen oder Vereinsvorstände sind für die Idee zu gewinnen und nicht selten sind zudem die jeweiligen Personengruppen und „Stammbesuchende“ auf den Umgang mit anderen bzw. „andersartigen“ Personengruppen vorzubereiten, was nicht immer ohne Konflikte abläuft. Letztendlich spielen daher auch sozial-psychologische Überlegungen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von Inklusion (vgl. dazu ausführlich Meyer 2013).

Die Umsetzung von Inklusion im Kontext sozialpsychologischer Überlegungen umfasst dabei vor allem den Umgang mit Vorurteilen und Berührungsängsten sowie Strategien zur Vermeidung von Intergruppenkonflikten. Beispielsweise besteht häufig die Gefahr, dass eine Durchmischung unterschiedlicher Personengruppen aufgrund bestehender Vorurteile scheitert oder sogar zu Konflikten und Diskriminierungsprozessen führen kann. Aus diesem Grunde ist das Wissen über Intergruppenprozesse ein unabdingbares Werkzeug im Umgang mit inklusiven Maßnahmen. Dabei müssen Kontaktsituationen häufig flankiert werden durch entsprechende einstellungsverändernde oder konfliktreduzierende Maßnahmen (siehe Schaukasten 4).

Schaukasten 4: Strategien zur Sensibilisierung und Einstellungsänderung

Inklusion muss begleitet werden durch Angebote und Aktivitäten zur Sensibilisierung der Bevölkerung

Sensibilisierungsstrategien sollen es ermöglichen, dass Stereotype und negative Vorstellungen über Menschen mit Behinderung abgebaut werden können. Hierfür bieten sich verschiedene Möglichkeiten aus der Sozialpsychologie an (vgl. ausführlich dazu Jonas/Stroebe/Hewstone 2007; Stürmer 2008; Otten/Matschke 2008):

  1. Informationsveranstaltungen und -kampagnen: Generell sollten dabei Informationen aber durch die Menschen mit Behinderung selbst übermittelt werden (z.B. öffentliche Informationskampagnen auf Stadtteilfesten, Vorträge von Menschen mit Behinderung über ihre Erfahrungen als behinderter Mensch, kulturelle Events wie Theatergruppen, Ausstellungen, Benefit Konzerte usw.).
  2. Neben der klassischen Aufklärungsarbeit über das Thema Behinderung in Form von Informationsveranstaltungen spielt zweitens aber auch die Verhaltensebene, z.B. in Form von Rollenspielen oder Simulationen, eine besondere Rolle. Jozef M. Nuttin (1975) beschreibt in seinem Aufsatz „Einstellungsänderung und Rollenspiel“ beispielsweise, dass Einstellungsveränderungen sehr gut durch die Einnahme einer anderen Rolle und damit einer neuartigen bzw. anderen Perspektive bewirkt werden können. Insgesamt eigenen sich Rollenspiele, Simulationen und Sensibilisierungsaktivitäten wie Rollstuhlparcours oder Dunkelcafés, in denen sich die Beteiligten in die „Rolle“ behinderter Menschen einfühlen.
  3. Als dritter Punkt ist der regelmäßige Kontakt ein wichtiges Medium für inklusive Prozesse. Die sogenannte Kontakthypothese (Gordon Allport) geht davon aus, dass (allein) der Kontakt zwischen Gruppen Vorurteile und diskriminierende Verhaltensweisen abbauen hilft. Voraussetzung hierfür ist jedoch: ein regelmäßiger und dauerhafter Kontakt, eine angenehme Atmosphäre, übergeordnete Ziele bzw. gemeinsame Erfahrungen, möglichst neuartige Aufgaben und Erfahrungen für alle Beteiligten (d.h. kein Erfahrungsvorsprung einzelner), Möglichkeiten zur wechselseitigen Kommunikation, keine Wettbewerbssituation, gleicher Status beider Gruppen in der Kontaktsituation und die Begleitung, Moderation und Unterstützung durch Fachkräfte.
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Inklusion – was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff?
3.1 Inklusion erfordert den Abbau aller Barrieren 3.2 Inklusion bedeutet Anpassung gesellschaftlicher Strukturen an Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Beeinträchtigungen 3.3 Inklusion erfordert eine Unterstützung am jeweiligen Wohn-, Arbeits- und Lebensort 3.4 Inklusion bedeutet Akzeptanz von Vielfalt 3.5 Inklusion ist auf soziale Lernprozesse und Akzeptanz aller BürgerInnen eines Gemeinwesens angewiesen
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