7.2.1

Der Beginn des Prozesses: Bildung von Inklusionsteams, Auftaktveranstaltungen, Planung der Unterstützung (Phase 1 und 2)

Ein Vergleich der dokumentierten Vorgehensweisen in den einzelnen Modellreinrichtungen mit den in Kapitel 7.1 dargestellten Prozessphasen zeigt, dass sich in der Anfangsphase gleichermaßen Aktivitäten aus Phase 1 und Phase 2 finden lassen, häufig vermischt und miteinander verzahnt. Eine „saubere Trennung“ zwischen Phase 1 und 2 lässt sich somit nicht herstellen. Dies deutet darauf hin, dass der Einstieg in den Umsetzungsprozess keinesfalls an bestimmte „vorgegebene“ Aktivitäten gebunden ist und eine entsprechende Experimentierfreude durchaus angebracht ist. Trotz dieser verschiedenen „Spielarten“ lassen sich verschiedenen Aktivitäten finden, die sich insbesondere für den Beginn eines inklusiven Prozesses hervorragend eignen. Diese werden nachfolgend dargestellt.

Wie den Empfehlungen zur Umsetzung des Prozesses (Kapitel 7.1) zu entnehmen ist, sollte in Phase 1 zunächst ein Inklusionsteam innerhalb der Einrichtung gebildet werden, das die Einrichtungssituation, die Ressourcen und das Wissen in der Einrichtung analysiert und die weitere Strategie und das entsprechende Vorhaben festlegt. Die Indikatoren des Indexes für Inklusion sollen hierbei helfen, Stärken aber auch Schwachstellen in der Einrichtung zu identifizieren und eine entsprechende Prioritätenliste anzufertigen. In Phase 2 gilt es dann weitere relevante Akteur*innen zu finden, die für unterschiedliche Vorhaben gewonnen werden müssen. Solche Akteur*innen können innerhalb aber insbesondere auch außerhalb der Einrichtung mobilisiert werden. Die Befragung der vier Modellstandorte zeigt hierbei, dass Aktivitäten aus Phase 1 und 2 parallel erfolgten. Eine detaillierte Analyse der Einrichtungssituation mit Hilfe der Indikatoren des Indexes für Inklusion und eine entsprechende Diskussion der Stärken und Defizite erfolgte hingegen nicht. Dies ist jedoch zum einen dem Umstand geschuldet, dass zum Zeitpunkt des Projektstarts im Sommer 2012 nur ein Rohentwurf der Indikatoren vorlag, der von den neu gebildeten Inklusionsteams lediglich im Hinblick auf Verständlichkeit und Handhabbarkeit getestet wurde.[1] Zum anderen waren sich alle Beteiligten einig, so schnell wie möglich in den Umsetzungsprozess einzusteigen, um die bestehende Aufbruchsstimmung nutzen zu können.

Entsprechend lies die anfängliche Planung aus pragmatischen Gründen kein systematisches Durchlaufen der Phasenabfolge zu. Die Bildung von Inklusionsteams (Phase 1) sowie der Einbezug weiterer Akteur*innen (Phase 2) fanden daher parallel statt. Im Folgenden muss aus diesem Grund zwischen einem Kernteam, bestehend aus Mitarbeiter*innen und teilweise Ehrenamtlichen aus den jeweiligen Einrichtungen („Inklusionsteam“) und einem erweiterten Team, bestehend aus Kernteam und weiteren, häufig externen Akteur*innen, unterschieden werden.

In insgesamt drei von vier Modellreinrichtungen wurde ein Kernteam, ein sogenanntes Inklusionsteam, gebildet bzw. bestand bereits zum Zeitpunkt des Projektbeginns. Diese Teams setzten sich größtenteils aus hauptamtlichen und auch aus ehrenamtlichen Kräften zusammen. Durch die unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen der Mitglieder sind die Teams multiprofessionell ausgerichtet. Die Aufgabe dieser Teams bestand vor allem in der Vorbereitung, Planung und Durchführung sogenannter „Inklusionsforen“. Diese Inklusionsforen dienten in den genannten drei Modellstandorten als Auftaktveranstaltung, um einerseits den Inklusionsprozess anzustoßen und andererseits weitere Akteur*innen zu gewinnen und einzubeziehen. Entsprechend wurden zu diesen Foren relevante externe Personen aus der jeweiligen Gemeinde bzw. dem jeweiligen Stadtteil eingeladen. Meist betrug die Teilnehmerzahl etwa 20-25 Personen, in einem Fall jedoch haben an diesem Inklusionsforum sogar insgesamt ca. 60 Personen teilgenommen. Unter den Teilnehmer*innen waren auch VertreterInnen der Kommunalpolitik (z.B. Gemeinderät*innen, Bürgermeister*in), lokale Schlüsselpersonen und Multiplikator*innen (z.B. Akteur*innen aus Vereinen sowie anderen Einrichtungen des Stadtteils), Lehrer*innen sowie Betroffene und Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung.

Ziel der Foren war es, eine Aufbruchsstimmung in der jeweiligen Gemeinde zu erzeugen sowie weitere Aufgaben zu verteilen bzw. zu delegieren. In den Foren wurden beispielsweise thematische Arbeitsgruppen zu den Themen ‚Freizeit/Sensibilisierung‘, ‚Arbeit/Übergang Schule–Beruf‘, ‚Mobilität‘, ‚Wohnen‘, ‚Partnerschaft/ Liebe/Sexualität‘ und ‚Elternarbeit‘ gebildet. Eine andere Möglichkeit der thematischen Zuordnungen ist die Unterscheidung in Handlungsebenen. In einem anderen Forum wurden beispielsweise Personen zu Kleingruppen zusammengeführt, die das Thema Inklusion im Hinblick auf die vier Ebenen „Ich“, „Du“, „Wir“ und „Sie“ bearbeiten sollten. Dabei ging es darum herauszufinden, welchen Stellenwert das Thema Inklusion für einen selbst bzw. für die unmittelbaren Bezugspersonen hat. Die beiden letzten Ebenen bezogen sich hingegen auf die Perspektive der Einrichtung (z.B. das Mehrgenerationenhaus) sowie auf den Beitrag des Stadtteils bzw. der Gemeinde.

Die Foren sollten nicht nur zur Sensibilisierung beitragen, sondern man erhoffte sich zudem, weitere interessierte Akteur*innen zu finden, die sich im Rahmen eines „Inklusionsteams“ oder einer „Initiativ-“ bzw. „Denkergruppe“ kontinuierlich mit dem Inklusionsprozess und der Umsetzung auseinandersetzen. Somit sollten die Inklusionsforen auch der Verbreitung der Idee im Stadtteil bzw. in der Gemeinde dienen; ähnlich einem Schneeballeffekt. Die hierfür in Frage kommenden Personen wurden daher gezielt zu den Inklusionsforen eingeladen. In den vorbereitenden Teamsitzungen der jeweiligen Einrichtungen mussten hierzu relevante Kriterien diskutiert werden: Die Personen sollten beispielsweise eine Funktion im Stadtteil bzw. in der Gemeinde haben (politische Mandatsträger*innen, Elternverterter*innen, Vereinsvorstände, Beirät*innen usw.), sie sollten möglichst offen gegenüber der Thematik sein und aus unterschiedlichen Altersgruppen kommen. So sind beispielsweise Schüler*innen und Auszubildende genauso vertreten wie Akteur*innen aus Vereinen und sozialen und heilpädagogischen Einrichtungen, Kommunalpolitiker*innen, Menschen mit Behinderung und Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Was die Regelmäßigkeit der Treffen anbelangt, so sind Treffen im Abstand von 6 bis 8 Wochen geplant.

Indem sich diese verschiedenen Personengruppen sowohl bei der Planung, Durchführung und Nachbereitung der öffentlichkeitswirksamen Inklusionsforen beteiligen und mitgestalten können, werden sie gleichermaßen in das Vorhaben nachhaltig eingebunden. Außerdem erhofft man sich Impulse zur Planung und Durchführung konkreter Veranstaltungen und spezifischer Aktivitäten in anderen Settings, etwa in den örtlichen Vereinen.

Des Weiteren gilt es, ehrenamtliche Unterstützer*innen für die Durchführung von Angeboten in den Einrichtungen zu werben. Der Profit, bei der Verwirklichung dieses Vorhabens ehrenamtliche Kräfte einzusetzen, liegt nicht nur auf Seiten der Modelleinrichtungen. Auch ehrenamtliche Kräfte können von ihrer Beteiligung profitieren. So stellt das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung ein großes Lernfeld für die jeweiligen Personengruppen dar, in dem sozialen Kompetenzen und Toleranz gefördert werden können. Dennoch sehen die befragten Leitungskräfte auch Grenzen im Einbezug und Einsatz ehrenamtlicher Kräfte: Diese sind vor allem zu Beginn eines Angebots zu beobachten. Aktuell herrscht bei manchen ehrenamtlichen Kräften durchaus auch Ahnungslosigkeit im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Diese Ahnungslosigkeit mündet oftmals in Überforderung, woraus ein Bedarf an entsprechender Beratung und Begleitung deutlich wird. Weiter haben sie durchaus auch Berührungsängste, sich gegenüber der Thematik zu öffnen. Insgesamt sei es nicht immer einfach, geeignete ehrenamtliche Kräfte für konkrete Aktivitäten zu finden, die keine Berührungsängste haben und verlässlich sind. Der Aufbau eines Pools an ehrenamtlichen Unterstützer*innen etwa, sei daher von hoher Relevanz.

Neben der Umsetzung von öffentlichkeitswirksamen Foren, fanden daher aber auch parallel weitere Sensibilisierungsaktionen nach „innen“ (beispielsweise zur Sensibilisierung von Einrichtungsmitarbeiter*innen und/oder Ehrenamtlichen) sowie nach „außen“ in den Stadtteilen bzw. Gemeinden statt, etwa mittels eines Stands auf dem Weihnachtsmarkt.

Während diese drei Standorte Initiativgruppen zur Umsetzung des Inklusionsprozesses aufgebaut, als auch einige Inklusionsforen unter Einbezug externer AkteurInnen durchgeführt haben, verfolgt die vierte Modelleinrichtung eine andere Strategie. Hier ist lediglich nur eine Person für die Umsetzung des Inklusionsprozesses zuständig und verantwortlich. Allerdings besteht in diesem Fall eine intensive Kooperation mit einem ortsnahen Dienstleister für Menschen mit Behinderung. Des Weiteren wurde unter Einbezug von Ehrenamtlichen und nichtbehinderten Besucher*innen innerhalb dieser Einrichtung ein verlässliches und gut funktionierendes Unterstützungssystem aufgebaut. Dieser Unterschied zu den anderen drei Modellreinrichtungen lässt sich vermutlich aufgrund einer völlig anderen Ausgangssituation erklären: Bereits vor Beginn des Modellprojekts wurde die Einrichtung von einer Mutter eines schwerstmehrfachbehinderten Mädchen angefragt, die nach einer Freizeitbetreuungsmöglichkeit für ihre Tochter gesucht hatte. Der Mutter ging es insbesondere um Überbrückung eines Zeitfensters, in dem das jugendliche Mädchen aufgrund der Berufstätigkeit der Mutter nicht betreut werden konnte. Es entstand daher die Idee, dass das Mädchen in dieser Zeit regelmäßig das Jugendhaus besuchen könnte. Aufgrund dieser akut anfallenden Anfrage mussten schnellstmöglich Lösungen gefunden werden, wie das schwerstmehrfachbehinderte Mädchen die Angebote des Jugendhauses nutzen konnte. Es mussten Fahrdienste organisiert und Unterstützungsnetzwerke aufgebaut, wie auch eine Rampe für den Rollstuhl gebaut werden. Dies gelang der Einrichtungsleitung insbesondere durch den aktiven Einbezug von Ehrenamtlichen (Besucher*innen des Jugendhauses). Auch wenn das Mädchen dadurch am Regelbetrieb teilnehmen konnte, wurde deutlich, dass es einem Pool an Assistent*innen bedarf, um jederzeit Unterstützung gewährleisten zu können. Aufgrund dessen entstand schließlich die Idee, einen verlässlichen Assistent*innen-Pool aufzubauen. Alles in allem erfolgte der Einstieg in einen inklusiven Prozess dabei bereits in Phase 4 (Umsetzung konkreter Aktivitäten), Phase 1 bis 3 wurden sozusagen „übersprungen“.

Aufgrund der Kurzfristigkeit der Entwicklung wurden in dieser Einrichtung zur Umsetzung des Inklusionsprozesses somit im Vorfeld keine konkreten Prioritäten und Ziele formuliert, und auch keine Inklusionsforen durchgeführt. Die konkretere Annäherung an das Thema und der Aufbau von Unterstützungsstrukturen sind dem Umstand geschuldet, dass es einen akuten Bedarf gab. Als vorteilhaft erwies es sich, dass die zuständige Person bereits über fundierte Erfahrungen mit der Umsetzung integrativer Angebote und Projekte verfügt und entsprechende Kompetenzen mitbringt. Als nachteilig könnte sich jedoch erweisen, dass eine solche Konzentration auf einen „Einzelfall“ eine umfassende Strategie bremst oder gar verhindert. Aufgrund des Fehlens sozialräumlich orientierter Aktivitäten wie der Inklusionsforen mangelt es sowohl an Öffentlichkeitsarbeit als auch an der Erprobung vielfältiger Sensibilisierungsaktivitäten. Fraglich ist auch, inwiefern die aufgebauten Unterstützungsstrukturen, die sich vor allem aufgrund der körperlichen Behinderung des jungen Mädchens ergaben, auch für andere Formen der Behinderung geeignet sind (etwa Autismus). Des Weiteren werden möglicherweise andere Themen ausgeblendet, die in den anderen Einrichtungen beispielsweise in Prioritäten und Zielen festgehalten wurden, etwa ‚Sensibilisierung/politische Dimensionen‘, ‚Schule/ Bildung‘, ‚Sexualität/Partnerschaft/Liebe/ Familie‘. ‚Wohnen‘ und ‚Elternarbeit‘.

 

Zusammenfassung: Zu Beginn des Inklusionsprozesses bietet es sich neben dem Aufbau eines Initiativteams an, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wie z.B. Inklusionsforen durchzuführen. Dadurch können multiprofessionelle, generationenübergreifende Arbeitsgruppen gebildet werden. Zur Motivationsaufrechterhaltung und -steigerung sowohl des Inklusionsteams als auch des erweiterten Teams kommt es dann insbesondere auf die Möglichkeit zur Mitgestaltung seitens aller Beteiligten an. Bei der konkreten Planung von Aktivitäten ist dabei eine Vergabe von Zuständigkeiten anzustreben. Findet bereits ein konkreter Einbezug von Menschen mit Behinderung in Aktivitäten, Vorhaben oder sogar in den Regelbetrieb statt, müssen verlässliche Unterstützungsstrukturen aufgebaut werden. Dazu eigenen sich Kooperationen mit Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der Einbezug von Ehrenamtlichen bzw. Besucher*innen.

[1] Auf Basis dieses Vortests wurde der Fragebogen mit den Leitindikatoren mehrfach überarbeitet. Seit Juli 2013 liegt eine ausführliche und empirisch überprüfte Fassung der Indikatoren vor.

7
Vorgehensweise bei der Umsetzung von Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit
7.1 Leitindikatoren für die Prozessgestaltung 7.1.1 Phase 1: Mit dem Index beginnen 7.1.2 Phase 2: Die Einrichtungssituation beleuchten 7.1.3 Phase 3: Einen inklusiven Plan entwerfen 7.1.4 Phase 4: Den inklusiven Plan in die Praxis umsetzen 7.1.5 Phase 5: Den Index-Prozess evaluieren 7.2 Erfahrungen mit der Umsetzung von inklusiven Aktivitäten in der Kinder- und Jugendarbeit – ausgewählte Praxisbeispiele 7.2.1 Der Beginn des Prozesses: Bildung von Inklusionsteams, Auftaktveranstaltungen, Planung der Unterstützung (Phase 1 und 2) 7.2.2 Wichtige Rahmenbedingungen und Voraussetzungen bei der Planung und Gestaltung sowie erste konkrete Aktivitäten (Phase 3 und 4) 7.2.3 Den Prozess nachhaltig unterstützen und evaluieren (Phase 5)
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