Asexuell

Asexuelle Menschen haben kein oder wenig Bedürfnis nach Sexualität. Das kann alle Geschlechter betreffen. Hier ist es wichtig, dass man zwischen Sexualität und Intimität unterscheidet. Es gibt asexuelle Menschen, die zwar kein Bedürfnis nach Sexualität, aber nach Intimität wie z.B. streicheln, Umarmungen, Kuscheln, usw. haben. Es gibt asexuelle Menschen, die sich auch eine Liebesbeziehung wünschen. Das ist aber oft schwierig, weil asexuelle Menschen in unserer Gesellschaft stigmatisiert und diskriminiert werden. Denn das Bedürfnis nach Sexualität wird in vielen Gesellschaften als etwas Natürliches und Selbstverständliches angesehen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen einer selbst gewählten Identität als asexuell, weil man keine (großen) sexuellen Bedürfnisse hat und der (falschen) Vorstellung, dass pauschal ganze Gruppen wie Kinder, alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen keine sexuellen Bedürfnisse hätten.

Asexuell kann sowohl eine Fremdzuschreibung als auch eine Selbstbeschreibung sein. Spätestens seit Freud geht man davon aus, dass Sexualität ein grundlegendes Bedürfnis aller Menschen sei. Jedoch wurden und werden Menschen mit Behinderungen dennoch sexuelle Bedürfnisse nach wie vor abgesprochen, sie werden als asexuelle Wesen konstruiert. Wenn Sexualität aber ein menschliches Grundbedürfnis ist, dann wird mit der Behauptung, Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen seien asexuell, ihnen gleichzeitig das Menschsein abgesprochen. Tatsächlich wird ihre angebliche Asexualität oft damit begründet, dass sie emotional und/oder kognitiv auf dem Entwicklungsstand von Kindern seien und Kinder noch keine sexuellen Bedürfnisse hätten. Beides ist unzutreffend und Menschen – auch mit sogenannten geistigen Behinderungen – haben ebenso sexuelle Bedürfnisse wie andere Menschen auch.

Auf der anderen Seite gibt es aber Menschen mit oder ohne Behinderungen, die ein sehr geringes oder gar kein Bedürfnis nach Sexualität im engeren Sinne haben (z.B. nicht nach Genitalsex) und sich deswegen selbst als asexuell bezeichnen. Bereits der einflussreiche Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey hatte in den USA bereits 1948 Asexualität in seinen Studien als eine Form der Sexualität beschrieben. In diesem Beitrag geht es um diese Form der Asexualität als freiwillig gewählte Selbstbeschreibung. Diese Form der selbstbestimmten Asexualität wird stark pathologisiert, also als Störung betrachtet, weil Sexualität als menschliches Grundbedürfnis betrachtet wird. Fehlt dies, wird dies also als Mangel oder Fehlentwicklung betrachtet, eine Ursache (wie z.B. Traumatisierung) und negative Folgen vermutet (z.B. Leiden, Beziehungsunfähigkeit, usw.). Da in vielen Kulturen Männern eher ein stärkerer ‚Sexualtrieb‘ unterstellt wird als Frauen, werden asexuelle Männer stärker stigmatisiert. Auch wird häufig unterstellt, dass es sich nur um eine Phase handele.

Während es tatsächlich vorkommen kann, dass Menschen sich für asexuell halten, bis sie ihre eigene Form der Sexualität gefunden haben (vor allem, wenn diese von der Norm abweicht, wie z.B. ein bestimmter Fetisch), gibt es auch Menschen, bei denen die Asexualität dauerhaft besteht. Vor allem das Internet hat dazu beigetragen, dass sich eine asexuelle Community entwickelt hat, in der sich asexuelle Menschen austauschen, gegenseitig unterstützen und sich weiter ausdifferenzieren, z.B. in Abstufungen wie demisexuell, grau-asexuell usw. oder in die Unterscheidung romantisch asexuell/aromantisch asexuell. Asexualität (als Teil der Persönlichkeit/Veranlagung verstanden) wird teilweise von sexueller Abstinenz (als frei gewählt) abgegrenzt. Menschen, die sexuelle Anziehung/Bedürfnisse verspüren (die Norm in unserer Gesellschaft) werden als allosexuell bezeichnet.

Um Asexualität zu verstehen, ist es sinnvoll, zwischen Sexualität und (romantischer) Liebe/emotionaler Intimität zu unterscheiden. Obwohl sie keine sexuellen Bedürfnisse im engeren Sinne haben, hat die Mehrheit asexueller Menschen den Wunsch oder ein Bedürfnis nach (romantischen) Beziehungen, körperlicher Nähe wie Umarmungen o.ä., also nach unterschiedlichen Formen von Intimität, die aber nicht auf (genitale) Sexualität fokussiert sind. Viele asexuelle Menschen verlieben sich z.B. auch (und bezeichnen sich dann z.B. als romantisch veranlagt) und haben auch eine sexuelle Orientierung, also bezeichnen sich z.B. als hetero-romantisch oder schwul/lesbisch. Andere asexuelle Menschen hingegen bezeichnen sich auch als aromantisch und ziehen z.B. Freundschaften Liebesbeziehungen vor, wobei die Grenze zwischen aromantischen Beziehungen ohne Sexualität und engen Freundschaften eine fließende zu sein scheint. Nicht alle asexuellen Menschen haben eine Aversion gegen Sexualität, masturbieren z.B. teilweise auch, weil es sich um ein körperliches Bedürfnis handelt, empfinden Sexualität jedoch nicht als etwas, das Nähe zu Partner*innen herstellt.

Besteht ein Wunsch nach Beziehung, so kann die Asexualität die Partner*innensuche erschweren, da die gesellschaftliche Erwartung an eine Liebesbeziehung ist, dass dazu Sexualität gehört. Asexuelle Menschen suchen sich deswegen teilweise ebenfalls asexuelle Partner*innen, nehmen Sexualität als Teil der Beziehung ‚in Kauf‘ oder bevorzugen teilweise alternative Formen von Beziehung oder Intimität. So können in nichtmonogamen Konstellationen sexuelle Partner*innen nach Absprache das Bedürfnis nach Sexualität mit anderen Personen ausleben. Da z.B. durch BDSM-Praxen alternative Formen von Nähe gelebt werden können, bewegen sich einige asexuelle Menschen auch in dieser Community.


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