Stigmatisierung ist ein Fremdwort und kommt aus dem Griechischen. Unter einem Stigma versteht man ein Merkmal, welches man einem Menschen zuweist. Durch dieses Merkmal bekommt man dann noch andere – oft nur schlechte – Eigenschaften zugewiesen. Menschen mit dem gleichen Merkmal werden dann als eine Gruppe verstanden, in der alle die gleichen Eigenschaften haben, obwohl sie nur ein gleiches Merkmal haben. Zum Beispiel werden Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zur Gruppe der ‚Menschen mit Behinderungen‘ zusammengefasst. Obwohl die Menschen in der Gruppe ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Beeinträchtigungen haben, werden sie als gleich ‚abgestempelt‘. Zum Beispiel wird angenommen, dass sie nicht leistungsfähig sind. Oder dass sie weniger intelligent sind. Das führt oft dazu, dass man Menschen mit Beeinträchtigungen aus der Gesellschaft ausgrenzt, diskriminiert oder nicht teilhaben lässt.
Der Begriff „Stigma“ stammt aus der altgriechischen Sprache und bedeutet Brandmal bzw. Zeichen. Der Begriff geht auf die damalige Kennzeichnung bestimmter Personengruppen zurück (z.B. Brandmal für Sklav*innen, Kranke, Verbrecher*innen etc.). Ziel dieser Kennzeichnung bei verschiedenen Personen war es, eine klare Abgrenzung zu anderen Gruppen und Individuen innerhalb der damaligen Gesellschaft zu ermöglichen.
Auch heute wird die Bezeichnung ‚Stigma‘ meist als negatives Merkmal verstanden. So bewirkt Stigmatisierung in der soziologischen Bedeutung ein Vorenthalten einer umfassenden sozialen Akzeptanz, d.h. bestimmte Gruppen und Individuen werden aufgrund der zugeschriebenen Merkmale durch große Teile der Gesellschaft potenziell ausgegrenzt.
Stigmatisierung bezeichnet somit einen Prozess, bei dem verschiedene äußere Merkmale von Personen und Gruppen wie beispielsweise Behinderung, ethnische Zugehörigkeit, Alter etc. mit negativen Bewertungen belegt und die Betroffenen z.B. als ‚die Behinderten‘, ‚die Alten‘ etc. bezeichnet werden. Stigmatisierte Personen werden durch diesen Vorgang bei gesellschaftlichen Interaktionen hauptsächlich über dieses negative Merkmal wahrgenommen und aufgrund dessen marginalisiert. Andere vorhandene Eigenschaften der Person, zum Beispiel der Charakter, Bildungsstand etc. können dieses Stigma kaum kompensieren.
Von Stigmatisierung betroffene Menschen sind diesem Prozess meist hilflos ausgeliefert und verinnerlichen in häufigen Fällen die ihnen zugeschriebene negative Bewertung. Der Stigmatisierungsprozess wirkt sich dann direkt auf die eigene Identität auf, weswegen der Soziologe Erving Goffmann auch von „beschädigten Identitäten“ spricht. Dies hat dann meist zur Folge, dass die Betroffenen sich selbst als defizitär erleben und sich aufgrund dessen aus der Gesellschaft zurückziehen und resignieren. Des Weiteren sind diese Personengruppen häufig bemüht, das negativ bewertete Merkmal geheim zu halten, um nicht ausgegrenzt zu werden.
Die Stigmatisierung von andersartigen Menschen hat verschiedene Ursachen und erfüllt dabei u.a. folgende Funktionen:
- Komplexitätsreduktion:
In einer Leistungsgesellschaft werden bspw. die Personen gesellschaftlich anerkannt und sozial höher bewertet, die viel Leistung bringen können. Menschen jedoch, die die Anforderungen einer Leistungsgesellschaft nicht erfüllen können und beispielsweise Sozialleistungen beziehen, werden gerne als ‚Schmarotzer‘ oder ‚arbeitsfaul‘ etikettiert und sozial ausgegrenzt. In diesem Falle stellt die Stigmatisierung eine Vereinfachung dar und verhindert differenziertes Denken, z.B. wie der individuelle Mensch in diese Situation gekommen ist etc.
- Aufwertung der eigenen Identität durch Abgrenzung/Abwertung Anderer:
In diesem Falle werden unterschiedliche Individuen aufgrund eines oder mehrerer Merkmale zu einer vermeintlich einheitlichen Gruppierung zusammengefasst, die man dann im Vergleich zur Eigengruppe abwertet. Ein Beispiel hierfür sind Menschen mit Behinderungen. So haben Menschen mit psychischen Erkrankungen andere Schwierigkeiten als Menschen mit körperlichen Behinderungen, sie werden jedoch häufig zu einer Gruppe – ‚die Behinderten‘ – zusammengefasst. Dieses ‚Schubladendenken‘ erleichtert die Identitätsbildung, da somit eine klare Gruppeneinteilung der ‚Normalen‘ auf der einen Seite und der ‚Nicht-Normalen‘ auf der anderen Seite erfolgen kann. Heutzutage nennt man dies auch ‚Othering‘. Durch diese Gruppierung sehen Menschen sich selbst in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft zu positionieren. Hierbei geht es nicht selten auch um die Aufwertung des eigenen Status. Gehört man zur ‚Mehrheit‘, bestärkt dies in der Annahme, einen höheren Stellenwert zu haben als beispielsweise Minderheiten.
- Orientierungshilfe im Alltag:
Vorannahmen beeinflussen und erleichtern die Entscheidungsfindung im Alltag. Das Nachdenken und die Einteilung in richtig und falsch, gut und böse oder ‚Sicherheit‘ und ‚Bedrohung‘ muss so nicht mehr in jeder Situation neu ausgehandelt und differenziert betrachtet werden. Dies hat im Alltag auch durchaus seine Vorteile, da hierdurch schnell Entscheidungen getroffen werden können. Allerdings führen solche Prozesse auch zu Stigmatisierungen, was dann bspw. Menschen automatisch ausschließt, die ein bestimmtes Merkmal aufweisen. Somit können Ausgrenzung und Diskriminierung ganzer Personengruppen entschuldigt und moralisch legitimiert werden.
Insgesamt kann Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen dazu führen, dass sie nicht als Individuum betrachtet werden, sondern als Gruppe mit negativen Merkmalen und Zuschreibungen. Folge der Stigmatisierung ist, dass sie sozial ausgeschlossen, benachteiligt und aufgrund ihrer Behinderungen diskriminiert werden.