Fat Studies/Fat Activism

Fat heißt auf Englisch „fett“. Fat Studies sind ein Bereich der Forschung an Universitäten. Darin untersucht man, wann eine Person als ‚schön‘ gilt. Jede Gesellschaft macht dabei ihre eigenen Regeln. Z.B. wie groß jemand sein muss, wieviel man wiegen darf oder wie gesund man sein muss, um als schön zu gelten. Gerade das Gewicht ist in vielen Gesellschaften wichtig. In einigen Ländern gelten ‚dicke‘ Menschen als sehr schön, in vielen Ländern gilt Dicksein aber als ‚nicht schön‘ oder ‚ungesund‘. Dort gelten schlanke, sportliche Menschen als schön und als gesund. Bei dünnen Menschen denkt man dann, sie seien auch in der Arbeit fleißig und ernähren sich gesund. Bei dicken Menschen denkt man, sie seien faul oder unsportlich oder würden sich ungesund ernähren. Das stimmt aber nicht. Deswegen werden dicke Menschen oft diskriminiert und man fordert sie auf, lieber abzunehmen, sich gesund zu ernähren oder viel Sport zu treiben, damit sie dünner werden. Es gibt aber Organisationen, die sich dagegen wehren. Die sagen, dass jeder Körper schön ist und dass man sich selbst so schön finden soll, wie man ist.

Die Fat Studies sind ein internationales Forschungsfeld, das im Kontext des ‚Fat Activism‘ entstanden ist und sich kritisch mit gängigen medizinischen, gesellschaftlichen und medialen Vorstellungen zu Körpergröße, Schönheit und Gesundheit auseinandersetzt und die Erfahrungen von Menschen, die als ‚übergewichtig‘ konstruiert werden, in den Mittelpunkt stellt. Der Fat Activism nahm seinen Ursprung im ‚Size Acceptance Movement‘ der 1970er Jahre. Wie in anderen solchen gesellschaftskritischen Projekten auch wird sich dabei ein stigmatisierender Begriff, ‚fat‘ (deutsch: „fett“) als Selbstbeschreibung angeeignet, auch um sich von medizinischen, diagnostischen Begriffen abzugrenzen. Denn zentral für Bewegung und Forschungsfeld ist die kritische Hinterfragung von Konzepten wie ‚Übergewicht‘, die die Existenz eines ‚Normal-‘ bzw. ‚Idealgewichts‘ unterstellen.

Stattdessen sehen die Fat Studies Gewicht analog zu Körpergröße als ein Merkmal, das in jeder Gruppe von Menschen variiert. Historisch und kulturell variiert dabei auch die Bewertung von hohem Körpergewicht stark. In unserer Kultur hat sich jedoch das Ideal eines schlanken, ‚fitten‘ oder gar durchtrainierten Körpers als Zeichen der Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Eigenverantwortung und Leistungsfähigkeit durchgesetzt. Einen solchen Körper zu erhalten, erfordert Selbstdisziplin (z.B. durch Diäten und regelmäßigen Sport). In dieser normativen Perspektive stehen dicke Körper für Willensschwäche, Faulheit und letztlich Mangel an Erfolg im Leben. Anstatt z.B. die Rolle von Stigmatisierung und Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt zu beachten, die dicke Menschen erleben, wird ihnen (insbesondere in neoliberalen Diskursen) selbst die Schuld an ihrem vermeintlichen ‚Übergewicht‘ bzw. am Scheitern, einen ‚schlanken‘ Körper zu haben, zugeschrieben. Darüber hinaus werden sie teilweise als Gefahr für die Volkswirtschaft diffamiert (‚Adipositas-Epidemie‘), indem die Kosten für die Gesamtgesellschaft zur Behandlung von Übergewicht bzw. durch Übergewicht begünstigte Erkrankungen skandalisiert werden.

Die Fat Studies untersuchen in diesem Zusammenhang die Auswirkungen von ‚Lookism‘, der Diskriminierung aufgrund von Aussehen (Englisch: „looks“), und im engeren Sinne ‚Sizeism‘ als Diskriminierung aufgrund von Körperumfang, u.a. Mobbing, Bullying, Barrieren in der Gesundheitsversorgung, Essstörungen (nicht als Ursache, sondern Folge von Körpernormen), negativem Selbstbild usw. Da Frauen besonders von Lookism und ‚Body Shaming‘ (Herabwürdigung/Beschämen aufgrund von Körpernormen) betroffen sind, existiert eine längere Tradition feministischer Kritik von Körpernormen und Schönheitsidealen. Diese weist u.a. daraufhin, dass Frauen stärker nach dem Äußeren bewertet werden als Männer und Zierlichkeit als Körpernorm für Frauen damit verbunden ist, dass Frauen in patriarchalen Kulturen nicht zu viel Raum einnehmen sollen. Dem entgegen wurde u.a. der feministische Slogan „Riot don’t diet“ geprägt, der dazu auffordert, die Normen anzugreifen anstatt die Körpernormen zu verinnerlichen und sich beispielsweise nicht dem Diätwahn zu unterwerfen und sich lautstark Gehör zu verschaffen („riot“, zu deutsch „Aufruhr“). Die britische queere Fat Aktivistin Charlotte Cooper hat beispielsweise die queere ‚fat girl gang Chubsters‘ (chubster: abwertender Begriff für ‚dicke‘ Menschen) gegründet, deren Mitglieder mit grotesken, übertriebenen Darstellungen von Körperlichkeit spielten, um sich explizit der Anpassung an Körpernormen, die von ‚dicken‘ Menschen gefordert wird, zu widersetzen. So sieht man in einem selbst gedrehten Musikvideo im do-it-yourself-Stil, wie die Chubsters ihre nackten, häufig als ‚schwabbelig‘ diffamierten Bäuche zur Schau stellen und aneinander klatschen lassen.

Die Fat Studies untersuchen auch kritisch die weit verbreitete Sicht, dass Übergewicht per se gesundheitsschädlich sei. Insbesondere ermöglichen sie einen kritischen Blick auf die schlechte Wirksamkeit sowie die negativen Folgen von Diäten zur Gewichtsreduktion. Als Alternative zum Idealgewicht-Paradigma hat sich die „health at every size”-Bewegung formiert, die sich für einen gesunden Lebensstil unabhängig von Gewicht einsetzt. Dies soll dem Phänomen, dass der dicke Körper als öffentliches Eigentum betrachtet wird, der z.B. von Fremden kommentiert und kontrolliert werden kann, etwas entgegensetzen.

Gerade Menschen mit Behinderungen sind vor allen in stationären Settings routinemäßig einem hohen Grad an Kontrolle und Regulierung in Bezug auf ihre Ernährung sowie Bewegung ausgesetzt. Diese Fremdbestimmung wird in der Regel damit gerechtfertigt, dass insbesondere aus Gesundheitsgründen auf das Gewicht geachtet werden müsse. Dies stellt erstens eine Doppelmoral dar, da (erwachsene) Menschen ohne Behinderungen selbst über ihre Art der Ernährung bestimmten können, unabhängig davon, ob diese gesund ist oder nicht. Zweitens wäre aus der Perspektive der Fat Studies kritisch zu hinterfragen, inwiefern eine klassische Diät-Herangehensweise insbesondere der psychischen Gesundheit eher schadet als hilft. Statt die Körper zu disziplinieren, wäre es aus dieser Sicht sinnvoller, schädliche Körpernormen zu hinterfragen und Selbstakzeptanz im Sinne einer ‚body positivity‘ zu fördern, die dann die Grundlage für eine Haltung der ‚self care‘ dienen könnte.


Literatur

  • Barlösius, Eva (2014): Dicksein. Wenn der Körper das Verhältnis zur Gesellschaft bestimmt. Frankfurt am Main: Campus.
  • Cooper, Charlotte (2016): The Chubsters and me: how my fat girl gang queered activism.
    Online unter www.opendemocracy.net/…, Stand: 31.10.2022
  • Cooper Charlotte (2009): Chubsters.
    Online unter vimeo.com/…, Stand: 14.11.2022
  • Dionne, Evette (2019): Here‘s what fat acceptance is – and isn‘t.
    Online unter www.yesmagazine.org/…, Stand: 31.10.2022
  • Rose, Lotte/Schorb, Friedrich (Hrsg.) (2017): Fat Studies in Deutschland. Hohes Körpergewicht zwischen Diskriminierung und Anerkennung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.