Teil A: Kultur der Einrichtung – Handlungsempfehlung Inklusionsexpert*innen

Was ist zu tun?

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, sollten alle am Inklusionsvorhaben beteiligten Akteur*innen verinnerlichen, dass die menschliche Vielfalt als Normalität und Chance begriffen werden muss, die es wertzuschätzen gilt. Jede Person mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen bringt eine Bereicherung für Ihre Einrichtung bzw. Organisation mit sich. Alle Beteiligten (haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen, Besucher*innen etc.) müssen sich daher durchgehend als aktiv Lernende im Inklusions-Prozess verstehen, die die Bedarfe und Anliegen verschiedener Personen- und Interessensgruppen stets akzeptieren, respektieren und unterstützen. Alle Teilnehmenden sind gleichberechtigt und ein Denken in Gruppenkategorien sowie das Bevorzugen bestimmter Statusgruppen (z.B. Mitglieder, Stammbesucher*innen) gilt es zu vermeiden. Alle sind stets gleichberechtigt zu behandeln. Vermutlich sorgen Sie auch dafür, dass in Ihrer Einrichtung ein partnerschaftlicher Umgang herrscht und regen vor allem Ihre Mitarbeiter*innen sowie die Nutzenden zu einem respektvollen Umgang an. Weiter sollten Sie aber auch provozierendes Verhalten als solches erkennen und vor allem angemessen darauf reagieren (z.B. durch Aufklärungsarbeit, Gesprächskreise etc.); vorausgesetzt Sie tun dies noch nicht. Dabei müssen Sie auch Ausgrenzungsszenarien und Diskriminierung dringend vermeiden. Ihren Teilnehmenden oder Besucher*innen ist es vielleicht auch schon bewusst, dass jeder Mensch unterschiedlich ist und somit von verschiedenen Personen auch unterschiedliches Verhalten ausgeht. Ist dies nicht der Fall, sollten Sie vermitteln, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten von verschiedenen Personen respektiert werden müssen. Wenn Sie bislang noch keine Unterstützung in der Verwirklichung Ihres inklusiven Vorhabens durch Ihren Träger und von Ihrer Besucherschaft bekommen, empfehlen wir Ihnen, dies entsprechend zu kommunizieren, da Sie die Unterstützung seitens Ihres Träger und von Ihren Besucher*innen brauchen. Zuletzt sollten Sie aber auch dafür sorgen, das Engagement und die Motivation aller Beteiligten zu stärken und aufrechtzuerhalten sowie ihren Prozess und damit auch die inklusiven Angebote zu reflektieren und zu evaluieren.

…und was bedeutet das nun konkret für die Praxis?

Die Umsetzung von Inklusion kann als ein zirkulärer Prozess verstanden werden. Dieser teilt sich in fünf Phasen auf. Sie befinden sich derzeit wohl am ehesten in der Phase III, IV oder Phase V. Innerhalb dieser Phasen geht es im Schwerpunkt u.a. um den Aufbau, die Aufrechterhaltung und Evaluation Ihrer inklusiven Einrichtungskultur.

Wir empfehlen Ihnen, Ihre bislang umgesetzten Schritte im Prozess mit unseren nachfolgenden Ideen und vorgeschlagenen Methoden abzugleichen. Zudem möchten wir Ihnen Tipps zur Motivationssteigerung und -aufrechterhaltung Ihrer Beteiligten geben und erinnern Sie an eine kontinuierliche Evaluation ihrer bisherigen Schritte zur Schaffung einer inklusiven Einrichtungskultur:

  1. Team: Vermutlich haben Sie zu Beginn Ihres Inklusionsvorhabens eine Steuerungsgruppe (Initiativteam/Inklusionsteam) innerhalb Ihrer Einrichtung gegründet, die die Einrichtungssituation, Ressourcen und das Wissen in der Einrichtung analysiert sowie weitere Strategien bzw. Prioritäten und das geplante Vorhaben festlegt. Wenn nicht, empfehlen wir Ihnen dies nachzuholen! Innerhalb dieses Teams sollte sich Vielfalt ebenso wiederfindet. So ist es wichtig, dass die Steuerungsgruppe die soziale und kulturelle Zusammensetzung der Organisation oder Einrichtung repräsentiert. Vergessen Sie weiterhin auch nicht, dass Sie neben Mitarbeiter*innen, Leitung und Trägervertreter*innen, auch Teilnehmer*innen, Besucher*innen sowie Externe aus der Gemeinde (Eltern, Fachberatung, Gemeindevertreter*innen) ins Team einbinden.
    Auch wenn in Ihrer Einrichtung kein Inklusionsteam besteht, gibt es sicherlich Personen, die sich der Aufgabe angenommen haben. Zum jetzigen Zeitpunkt sollten sie sich daher nicht nur mit der Gründung und dem Ausbau eines Inklusionsteams, sondern auch mit der Steigerung und Aufrechterhaltung der Motivation aller Beteiligten befassen. Nicht selten bringt solch eine Aufgabe gewisse Herausforderungen mit sich. Wir empfehlen Ihnen daher allen Beteiligten ein Mitspracherecht einzuräumen und Zuständigkeiten zu vergeben. Zum Beispiel sollte für alle Beteiligten die Möglichkeit bestehen, bei der Planung, Durchführung und Evaluation in verschiedenen Rollen mitzuwirken.
  2. Schulung/Fort- und Weiterbildung: Werden in Ihrer Einrichtung bereits Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und/oder Schulungen für das gegründete Inklusionsteam angeboten? Achten Sie dabei auch darauf, dass diese Möglichkeiten für weitere Akteur*innen, die am Prozess beteiligt sind, ebenfalls bestehen. Nutzen Sie diese Möglichkeiten und bieten Sie die Bildungsmaßnahmen für alle beteiligten Akteur*innen an! Denn alle Beteiligten müssen im Umgang mit dem Thema Behinderung geschult und für die Belange von Besucher*innen mit Behinderung sensibilisiert werden. Zusätzlich können durch eine Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und/oder Schulungen neue Ideen entstehen, die wiederum zur Motivationssteigerung und -aufrechterhaltung der Beteiligten beiträgt. Für das Thema Bildungsmaßnahmen empfehlen wir Ihnen (vorausgesetzt Sie tun es noch nicht) diese in Kooperation mit Einrichtungen der Behindertenhilfe oder mit Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung zu planen, durchzuführen und zu evaluieren.
  3. Netzwerkbildung/Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Kommunalpolitik: Vorausgesetzt Sie haben entsprechende personelle Ressourcen noch nicht aufgebaut und folgende Anregung noch nicht umgesetzt, empfehlen wir Ihnen eine*n ‚kritische*n Freund*in‘ in den Prozess einzubinden. Diese Person sollte die Einrichtung gut kennen, unterstützend sowie herausfordernd agieren und den Prozess engagiert begleiten. Vielleicht haben Sie ja auch schon Erfahrungen darin gemacht, dass eine Person, die bereits Kenntnisse über das Thema Inklusion bzw. zur Umsetzung eines inklusiven Vorhabens mitbringt, sehr gewinnbringend für das Team bzw. für die Gestaltung der Prozesse ist. Deshalb würden wir Ihnen empfehlen, darauf zu achten, dass eine*in ‚kritische*in Freund*in‘ über eben solche Erfahrungswerte verfügt. Mit seinem*ihrem ‚außenstehenden Blick‘ hilft er*sie den Beteiligten bei der Untersuchung der Einrichtung und bei der Analyse der Sichtweisen. Zusätzlich bzw. als Basis für einen solchen Prozess bietet es sich an, Kooperation mit Einrichtungen oder Diensten der Behindertenhilfe sowie mit Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung einzugehen.

    Wir gehen davon aus, dass Sie bereits verschiedene Kooperationsbeziehungen eingegangen sind. Daher empfehlen wir Ihnen, in Kontakt zu weiteren wünschenswerten Kooperationspartner*innen zu treten, aber auch die bestehenden Kooperationen zu intensivieren und auf ihr Gelingen hin zu reflektieren. Reflektieren Sie Ihre bestehenden Kooperationsbeziehungen z.B. dahingehend, inwiefern alle Beteiligten die Idee von Inklusion befürworten, ob die definierten Vereinbarungen auch tatsächlich umgesetzt werden, eine Plattform für einen regelmäßigen Austausch besteht und Möglichkeiten zur Informationseinholung bezüglich folgender Themen besteht:
    1.) bezüglich eines angemessenen Umgangs mit behinderten Teilnehmer*innen;
    2.) bezüglich der Angebotsinhalte bei inklusiven Angeboten wie Ferienprogrammen, Ausflügen, Theatergruppen; und
    3.) bezüglich rechtlicher Belange auch während der Angebote. Ferner raten wir Ihnen zu prüfen, ob Sie Ihre Kooperationspartner*innen auch zur Unterstützung bzw. als Anbieter*innen für Weiterbildungsmaßnahmen/Schulungen zum Thema (z.B. in Form von Fachtagen für JugendleiterInnen) hinzuziehen und ob Sie die Netzwerke auch für eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit wie z.B. für Inklusionsforen mit Vertreter*iinnen der Kommunalpolitik, lokalen Schlüsselpersonen und Multiplikator*innen, Lehrer*innen und Betroffenen, und für Sensibilisierungsaktivitäten, z.B. in Form von Plakataktionen, eines Weihnachtsmarktstands oder der Mitwirkung bei Stadtteilfesten sowie Inklusionsforen, nutzen.

    Was Ihre Öffentlichkeitsarbeitsstrategien anbelangt, gehen wir davon aus, dass auch diese im Sinne der Inklusion gestaltet sind. Wenn noch nicht erfolgt, bietet es sich zur Optimierung der internen Öffentlichkeitsstrategie an, z.B. ein inklusives Leitbild für Ihre Einrichtung zu erarbeiten, eine kontinuierliche Einrichtungskommunikation aufzubauen und einen „inklusiven“ Maßnahmenkatalog zu erstellen. Als externe Öffentlichkeitsarbeitsstrategien setzen Sie vermutlich bereits Pressearbeit (z.B. Flyer, Gemeindeblatt) über inklusive Angebote und Webauftritte der Einrichtung um. Wir empfehlen darüber hinaus aber auch eine dialogisch ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit, etwa Eltern-/Angehörigenarbeit und die Mitwirkung bei Veranstaltungen im Gemeinwesen (z.B. Stand auf dem Weihnachtsmarkt, Stadtteilfeste).Vermutlich haben Sie bereits schon zahlreiche konkrete inklusive Aktivitäten für Ihre Nutzer*innen angeboten, um die Kultur Ihrer Einrichtung zu verbessern. Diese sollten Sie allerdings auch regelmäßig evaluieren. Im Folgenden möchten wir Ihnen daher einige methodische Anregungen und Ratschläge zur Evaluation geben:

  4. Sensibilisierung/inklusive Angebote: Simulationsangebote und Rollenspiele zur Sensibilisierung Ihrer Besucherschaft sind für Sie bestimmt keine fremden Methoden. Da es hier aber eine Fülle an Methoden gibt, haben wir ein paar Anregungen zusammengestellt. Zudem wissen Sie vermutlich auch, dass es für die Sensibilisierung Ihrer Besucher*innen vor allem auf Angebote ankommt, die auf Kontaktsituationen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung basieren. Wichtig ist hierbei allerdings, dass diese Kontaktsituationen gut geplant und professionell moderiert werden. Grundsätzlich gilt: Es eignen sich vor allem Aktivitäten, bei denen die Teilnehmer*iinnen an einem gemeinsamen Gegenstand/Ziel arbeiten. In den Angeboten sind Konkurrenzsituationen zu vermeiden.  Als sinnvoll hat sich auch erwiesen, dass die gemachten Erfahrungen für alle Teilnehmer*innen neu sind, denn dadurch entsteht ein neues Wir-Gefühl. Auch wenn Sie Ihr eigenes Methodenrepertoire bereits schon haben, möchten wir Ihnen folgende Aktivitäten als weitere Anregungen und Beispiele an die Hand geben: Dunkelrestaurant, Rolliführerschein/Rollstuhlparcours, Integrative Freizeit, Kinderspielstadt, „Café Inklusive“, inklusive Konzerte oder Karaoke-Aktionen, inklusive Kindergruppen, inklusive Zirkusprojekte, gemeinsame Kochaktivitäten, offene Treffs in Jugendhäusern. Einige Anregungen finden Sie unter der Rubrik „Methoden“ im Inklumat.

    Was die Sensibilisierung des Gemeinwesens anbelangt, haben Sie vermutlich schon Informationsveranstaltungen und Kampagnen durchgeführt. Kommen Ihnen die folgenden Methoden, die hierfür vorgesehen werden können, bekannt vor? Wenn nicht, machen Sie sich Gedanken zu einer möglichen Umsetzung: Filmvorführungen, Inklusionsforen, Lesungen (z.B. Rollmops) oder Theaterstücke zur szenischen Darstellung des Lebens eines Menschen mit Behinderung und/oder Speaking Tours, beispielsweise in Schulen etc., um Wissen zum Thema Behinderung zu vermitteln.

  5. Reflexion/Evaluation: Sowohl während als auch am Ende eines inklusiven Angebots oder einer Sensibilisierungsaktivität sollten Sie diese im Hinblick auf die erwarteten Inklusionspotenziale und die darin stattfindenden Gruppenprozesse im Team mit Professionellen und Ehrenamtlichen reflektieren und evaluieren (z.B. in regelmäßigen Teamsitzungen oder Dienstbesprechungen). Folgende Fragen sollten Sie sich hierbei stellen: Wird die Besucherschaft und das Gemeinwesen tatsächlich durch jenes Angebot sensibilisiert? Können mit den jeweiligen Angeboten tatsächlich Berührungsängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung abgebaut werden? Bei diesen Reflexions- und Evaluationsgesprächen ist insbesondere darauf zu achten, Befindlichkeiten, Berührungsängste und Unsicherheiten im Umgang mit Ihrer Besucherschaft zu thematisieren. Es bietet sich an, Fachkräfte aus der Behindertenhilfe oder Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung in solche Gespräche mit einzubinden. Zusätzlich zu diesen Treffen oder Besprechungen sollten Sie aber auch empirische Daten erheben, die den Inklusionsprozess dokumentieren. Methodisch eignen sich u.a. Beobachtungen (z.B. zur Interaktionshäufigkeit zwischen behinderten und nichtbehinderten Teilnehmer*innen) sowie Befragungen (z.B. Gruppenbefragungen oder kürzere qualitative Interviews). Was eine Gesamtevaluation betrifft (etwa auf Einrichtungs- oder Trägerebene) sollten hierzu auf jeden Fall die Leitindikatoren des Indexes für Inklusion verwendet werden. Zur weiteren Orientierung dient Ihnen ferner die Beschreibung des Index-Prozesses.