Werkstatt für behinderte Menschen

Für viele Menschen mit Behinderungen ist es schwer, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten. Manchmal gibt es dort einen hohen Druck, oder die Arbeit kann aufgrund der Behinderung nicht ausgeführt werden. Oder man braucht Unterstützung oder Hilfsmittel. Die gibt es aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oft nicht. Damit Menschen mit Behinderungen so arbeiten können, wie sie es brauchen, gibt es Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Die Abkürzung ist WfbM. In WfbM bekommen Menschen mit Behinderung Unterstützung und haben mehr Zeit für die Arbeit. Sie können auch mehr Pausen machen. Und sie können dort auch Sport und Reha machen. In einer WfbM bekommt man keinen Lohn wie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Man bekommt ein Entgelt. Das sind im Monat etwa 220 Euro. Daran gibt es Kritik. Viele wollen, dass man in WfbM genau so viel Geld bekommt wie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Werkstätten für behinderte Menschen sind nach §§ 219-227 SGB IX Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Sie bieten Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können (§ 219 SGB IX) eine Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeit. Außerdem sollen sie den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und damit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördern. Darüber hinaus sollen Werkstätten für behinderte Menschen eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem der Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anbieten (§ 219 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) sowie dazu beitragen, die „Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln“ (§ 219 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Die Menschen werden dabei durch qualifiziertes Personal (Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung) begleitet und durch soziale und psychologische Dienste unterstützt.

Das Angebot der Werkstätten für Menschen mit Behinderung besteht i.d.R. aus vier Bereichen: Zu Beginn können die Personen die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche in einem sog. Eingangsverfahren (EV) kennenlernen, um die für sich geeigneten Arbeitsbereiche herausfinden zu können. Dieses Eingangsverfahren dauert in der Regel 3 Monate und dient dazu, festzustellen, ob die WfbM für die betreffende Person die geeignete Berufsfördermaßnahme ist.

Daran schließt sich die Qualifizierungsphase im Berufsbildungsbereich (BBB) an, d.h. eine Phase der Ausbildung, Umschulung bzw. zur Vorbereitung einer Arbeitsaufnahme in der Werkstatt oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Inhalte sind sowohl das Erlernen berufspraktischer Fähigkeiten und Kenntnisse als auch die Förderung lebenspraktischer Kompetenzen. Diese Qualifizierungsmaßnahme dauert maximal zwei Jahre. Anschließend können die Beschäftigten in den Arbeitsbereich wechseln, in welchem sie unbefristet beschäftigt sein können. Viele WfbM bieten darüber hinaus einen Förderbereich in Form einer Fördergruppe oder Tagesförderstätte, die an die Werkstatt angegliedert ist und in welchem Menschen unterstützt bzw. betreut werden, für die die Tätigkeit in der Werkstatt aufgrund der Schwere ihrer Behinderung bzw. aufgrund eines erhöhten Pflege- und Unterstützungsbedarfes nicht möglich ist.

Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) waren lange Zeit die verbreitetste Arbeitsform zur beruflichen (Aus-)Bildung sowie zur Beschäftigung erwachsener Menschen mit sogenannten Lernschwierigkeiten. Diese „sind jedoch zunehmend in die Kritik geraten, da die Bezahlung eher einem Taschengeld als einer Entlohnung gleicht; die genannten Einrichtungen trotz ihres Sonderstatus nie das Niveau eines profitablen Unternehmens erreichen und keine soziale Inklusion stattfindet, da alle Kollegen und Kolleginnen ebenfalls behindert sind“ (Biermann/Goetze 2005, S.122). Deutlich wird diese Kritik bei der Betrachtung des Durchschnittsentgelts, welches in den deutschen Werkstätten für behinderte Menschen im Jahr 2021 bei einer 39-Stunden-Woche 226 Euro monatlich betrug. Dieses Entgelt setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Der Grundbetrag beträgt seit Januar 2023 monatlich 126 Euro. Der Steigerungsbetrag bemisst sich nach individueller Arbeitsleistung und betrug für das Jahr 2021 ca. 79 Euro. Die letzte Komponente ist das steuerfinanzierte Arbeitsförderungsgeld (AFöG) und beträgt seit Januar 2017 52 Euro. Im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich beläuft sich das sog. Ausbildungsgeld auf 126 Euro im Monat (§ 125 SGB III). Das Arbeitsentgelt reicht zweifelsohne nicht für den Lebensunterhalt, sodass es zum Großteil durch Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII ergänzt wird.

Es bleibt offen, inwiefern die Institution der WfbM an sich und insbesondere die geringe Entgelthöhe Art. 27 UN-BRK widerspricht. Dort wird gefordert, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, „den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird“ (Art. 27 UN-BRK). In der aktuellen Debatte wird daher auch immer wieder gefordert, dass Beschäftigte in WfbM Arbeitnehmenden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gleichgestellt werden sollen (bisher ist es ein arbeitsnehmerähnliches Verhältnis nach § 221 SGB IX), sodass auch in WfbM der gesetzliche Mindestlohn gilt.

Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass WfbM nicht nur als Schutz- und Schonraum für Menschen mit Behinderungen angesehen werden, in denen sie die benötigte Förderung und Teilhabe am Arbeitsleben bekommen, sondern auch als Sonderwelt betrachtet werden sollten, die Menschen mit Behinderungen eher exkludieren als inkludieren würden.


Literatur

  • Biermann, Adrienne/Goetze, Herbert (2005): Sonderpädagogik. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. (2024): Welches Geld bekomme ich, wenn ich in einer Werkstatt (WfbM) beschäftigt bin?
    Online unter www.lebenshilfe.de/…, Stand: 12.07.2024
  • Deutsches Institut für Menschenrechte (2024): Artikel 27 UN-BRK (Arbeit und Beschäftigung).
    Online unter www.institut-fuer-menschenrechte.de/…, Stand: 12.07.2024
  • Engels, Dietrich u.a. (2022): Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Hrsg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Berlin.
  • Mosen, Günter (2007): Werkstatt für behinderte Menschen. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit. 6. Aufl. Baden-Baden: Nomos, S. 1037–1039.