Partizipation

Unter Partizipation versteht man, dass Menschen an Alltag und an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben und teilnehmen. Teilhabe bedeutet, dass alle Menschen Zugang zu Essen, Kleidung, Bildung usw. haben müssen. Teilhabe bedeutet auch, dass alle Menschen Zugang zum gesellschaftlichen Leben haben müssen. Im Sinne der Inklusion und der Barrierefreiheit muss es daher auch für Kinder, Jugendliche, aber auch für Menschen mit Behinderungen möglich sein, Zugang zum gesellschaftlichen Leben zu haben. Wenn Menschen z.B. nicht gehen können, müssen öffentliche Gebäude so umgebaut werden, dass sie auch mit einem Rollstuhl erreicht werden können. Erst, wenn gesellschaftliche Teilhabe möglich ist, kann man auch an der Gesellschaft teilnehmen. Mit Teilnahme ist gemeint, dass man mitbestimmen und mitsprechen kann. Und, dass man Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungen nehmen kann. Ein Beispiel für Teilnahme ist die politische Wahl. Menschen mit Behinderungen müssen z.B. die Möglichkeit haben, auch wählen zu können (Teilhabe), damit sie Einfluss nehmen können (Teilnahme).

Der Begriff Partizipation wird oftmals als Synonym zu anderen Begriffen genutzt, wie etwa Mitbestimmung, Mitgestaltung oder Beteiligung. Genauer betrachtet umfasst Partizipation sowohl die Teilnahme als auch die Teilhabe an gesellschaftlichen Zusammenhängen. Teilnahme meint in diesem Zusammenhang, dass Individuen auf verschiedene Bereiche Einfluss nehmen und ihre Bedürfnisse und Interessen im öffentlichen Raum artikulieren können. Um dies allen Menschen zu ermöglichen, ist deren ausreichende Teilhabe, also der Zugang zu gesellschaftlichen produzierten Gütern (z.B. Essen, Kleidung) und dem öffentlichen Leben (z.B. an Versammlungen, offenen Treffs) sicherzustellen. Aus diesem Grund schaffen voll entwickelte Demokratien in Form von Freiheits- und sozialen Teilhaberechten (z.B. durch das BTHG) die Voraussetzung dafür, dass ihre Mitglieder die vorhandenen Möglichkeiten zur Teilnahme an demokratischen Entscheidungsprozessen auch realisieren können.

Partizipation ist aber nicht nur zentral für eine funktionierende Demokratie, sondern stellt auch für Bildungs-, Beteiligungs- sowie Unterstützungsprozesse in der Kinder- und Jugendarbeit (KJA) eine zentrale Gelingensbedingung dar. Partizipation ist daher sowohl eine der acht Strukturmaximen einer lebensweltorientierten Kinder- und Jugendhilfe als auch eines der zentralen Arbeitsprinzipien der KJA und darüber hinaus werden Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen sowohl in der nationalen Gesetzgebung (z.B. GG, SGB VIII) als auch in supranationalen und internationalen Gesetzestexten und Konventionen (z.B. UN-KRK) an mehreren Stellen festgehalten. KJA soll ihrem gesetzlichen Auftrag nach an die Interessen junger Menschen anknüpfen, sie soll von diesen mitbestimmt und mitgestaltet werden und sie soll Kinder und Jugendliche zu Selbstbestimmung und so zu gesellschaftlicher Mitverantwortung befähigen. In Jugendgruppen und -verbänden organisieren sich junge Menschen zudem selbst und bringen ihre Anliegen und Interessen zum Ausdruck. Der daraus an die Kinder- und Jugendarbeit erwachsene Auftrag lässt sich mit Sturzenhecker (2013, S. 327) als „Demokratiebildung“ begreifen, in der demokratische Vollzüge durch deren konkrete Aneignung in Einrichtungen der KJA erfahrbar gemacht wird.

Die KJA hat somit die historisch gewachsene und rechtlich verankerte Aufgabe, Partizipationsprozesse zu ermöglichen und zu befördern. Um hierbei unterschiedliche Stufen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu differenzieren, wurden verschiedene Treppen- bzw. Leitermodelle entwickelt, die grob vereinfacht zwischen drei Ebenen unterscheiden:

  • Fremdbestimmung, Dekoration und Alibi-Teilnahme (Nicht-Beteiligung): Auf dieser untersten Ebene haben die Kinder und Jugendlichen faktisch keine Entscheidungsmöglichkeiten und werden lediglich zur Beteiligung ‚überredet‘ oder diese wird ihnen vorgeschrieben.
  • Teilhabe, Zugewiesen/Informiert, Mitwirkung, Mitbestimmung, Selbstbestimmung (Beteiligung in unterschiedlichen Graden): Je nach Beteiligungsgrad erhalten die Kinder und Jugendlichen auf dieser Ebene bestimmte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten (‚voice-Rechte‘ und ‚choice-Rechte‘), ohne jedoch dabei alleinige und vollständige Entscheidungsrechte zu haben.
  • Selbstverwaltung (geht über Beteiligung hinaus): Auf dieser höchsten Ebene agieren junge Menschen als ‚Expert*innen in eigener Sache‘. Pädagogische Fachkräfte können das Handeln unterstützen, alle Entscheidungen werden aber von den jungen Menschen selbst getroffen.

Diese Differenzierung in unterschiedliche Ebenen ist dazu geeignet, zwischen einer nur aus Legitimationsgründen erfolgenden ‚Scheinpartizipation‘ und einer ‚echten‘ Beteilung von Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden. Zudem lässt sich zwischen formalisierter Partizipation (z.B. in Jugendparlamenten oder Jugendforen) und informellen Formen von Alltagspartizipation (z.B. Aushandlungsprozesse im offenen Bereich der Einrichtung) differenzieren. Beide Partizipationsformen haben Vor- und Nachteile, wie etwa die höhere Verbindlichkeit bei formellen Gremien oder die Niederschwelligkeit alltäglicher Partizipation. In vielen Einrichtungen der KJA erfolgt die Partizipation überwiegend in informellen Aushandlungsprozessen, während institutionalisierte Beteiligungsformen (z.B. Jugendhausrat) nur vergleichsweise selten anzutreffen sind.

In allen Partizipationskontexten und -formen ist es entscheidend, dass Partizipation für die Kinder und Jugendlichen subjektiv Sinn macht, dass sich diese in ihrem partizipativen Handeln als selbstwirksam erfahren und dass sie in Partizipationskontexten anerkannt werden. Ist dies der Fall, dann erweitern junge Menschen in ihrem Engagement sukzessive ihre Handlungsmöglichkeiten. Allerdings sind die Partizipationsmöglichkeiten in den Einrichtungen der KJA oftmals ungleich verteilt. Aufgrund von fehlenden Informationen zu Mitbestimmungsmöglichkeiten und einer überwiegend informellen Beteiligungspraxis sind es in der Mehrzahl ältere Jugendliche und Stammbesucher*innen, die die Partizipationsgelegenheiten in der KJA wahrnehmen. Daher ist es für die Einrichtungen ratsam, unterschiedliche Zugänge zu den jeweiligen Beteiligungsstrukturen bereitzustellen und immer wieder zu überprüfen, welchen Kindern und Jugendlichen diese Zugänge in welchem Umfang tatsächlich offenstehen.

Insbesondere gilt es dabei, die bisherige Partizipationspraxis auch mit Blick auf junge Menschen mit Behinderung zu reflektieren. Gerade diesen Kindern und Jugendlichen, deren Alltag größtenteils ‚über ihren Kopf hinweg‘ entschieden wird, sollten in der KJA Möglichkeiten offenstehen, sich mit ihren Interessen und Bedarfen einzubringen. Entsprechend der obigen Ausführungen geht es dabei nicht nur um die bloße Möglichkeit zur Teilnahme, sondern vielmehr auch um gleichberechtigte Teilhabechancen in einer aus inklusiver Sicht stets heterogenen Gesellschaft. Daher sollte in der Konzeptualisierung partizipativer Prozesse stets mitbedacht werden, welche Rahmenbedingungen, Unterstützungsformen und pädagogische Begleitung – oder im Sinne des Index für Inklusion: welche inklusiven Strukturen, Praktiken und Kulturen – es kontextuell braucht, damit Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung sich gleichermaßen in diese Prozesse einbringen können. Hier verbindet sich das Arbeitsprinzip der Partizipation mit dem Anspruch auf die Inklusion unterschiedlicher Zielgruppen und sozialer Milieus. Daraus erwächst für die KJA der doppelte Auftrag, sowohl „Teilhabe inklusiv und demokratisch [zu] eröffnen“ (Beck/Sturzenhecker 2021, S. 762) als auch „Teilnahme inklusiv und demokratisch [zu] gestalten“ (ebd., S. 765).


Literatur

  • Beck, Iris/Sturzenhecker, Benedikt (2021): Inklusion und Partizipation in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In Deinet, Ulrich u.a. (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Springer VS, 5. Auflage, S. 749-771.
  • Bundesjugendkuratorium (2009): Partizipation von Kindern und Jugendlichen – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. München: Deutsches Jugendinstitut e. V.
  • Hart, Roger A. (1992): Children’s Participation. From Tokenism to Citizenship. In: Innocenti essays 4. Florenz: UNICEF International Child Development Centre.
  • Meyer, Thomas (2018): INKLUMAT – Der Index für die Jugendarbeit zur Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. In: Offene Jugendarbeit, H. 3, S. 5-21.
  • Schnurr, Stefan (2018): Partizipation. In Otto, Hans-Uwe u.a. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. München: Reinhardt, 6. Auflage, S. 1126-1137.
  • Schwanenflügel, Larissa von/Schwerthelm, Moritz (2021): Partizipation – ein Handlungskonzept für die Offene Kinder- und Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Springer VS, 5. Auflage, S. 987-1000.
  • Zinser, Claudia (2005): Partizipation erproben und Lebenswelten gestalten. In Deinet, Ulrich/ Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Handbuch offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: VS, 3. Auflage, S. 157-166.