Mad heißt auf Englisch „verrückt“. Mad Studies sind ein Bereich der Forschung an Universitäten. Darin untersucht man, warum manche Menschen als ‚verrückt‘ gelten und andere Menschen nicht. Wenn man als ‚verrückt‘ gilt, dann hat man in vielen Gesellschaften kein Mitspracherecht und darf oft nicht für sich selbst bestimmen. Es kann aber sein, dass diese Menschen manche Dinge besser wissen oder andere Dinge wissen. Die Mad Studies zeigen, dass Gesellschaften Regeln aufstellen, wer als ‚verrückt‘ gilt und wer nicht. Diese Regeln sind aber nicht natürlich, sondern können auch anders sein. Früher hat man z.B. an Engel geglaubt. Menschen, die nicht an Engel geglaubt haben, galten dann als ‚verrückt‘. Heute würden eher die Menschen als ‚verrückt‘ gelten, die an Engel glauben. Deswegen können sich die Regeln immer ändern. Den Mad Studies geht es wie den Disability Studies darum, dass die gleichen Rechte für alle Menschen gelten. Nur hier geht es vor allem um Menschen mit psychischen Erkrankungen und bei den Disability Studies geht es um Menschen mit Behinderung.
Die Mad Studies sind ein internationales Forschungsfeld, das sich aus kritischer und emanzipatorischer Perspektive mit der Konstruktion von ‚Verrücktheit‘ und der Institutionalisierung von Menschen, die als ‚verrückt‘, ‚psychisch krank‘ usw. gelabelt werden, befasst. Der stigmatisierende Begriff ‚mad‘ (deutsch „irre“, „verrückt“) wurde sich im Rahmen der Mad Pride-Bewegung als Selbstbeschreibung angeeignet, im deutschsprachigen Raum z.B. mit begrifflichen Aneignungen wie ‚verRückt‘ oder ‚Irrenoffensive‘. Die Mad Studies demonstrieren mit dieser Wortwahl also auch die Nähe zu dieser Bewegung und positionieren sich als kritisches Wissenschaftsprojekt, u.a. indem sie explizit emanzipatives Wissen generieren und indem sie analysieren, wie ‚verRückte‘ Menschen aus der (akademischen) Wissensproduktion ausgeschlossen werden. Ein wichtiges Anliegen ist wie auch in den Disability Studies, dass Psychiatrieerfahrene für sich selbst sprechen und Wissen produzieren können (anstatt dass nur über sie geforscht wird).
Ähnlich wie die Disability Studies davon ausgehen, dass Menschen nicht behindert sind, sondern (durch gesellschaftliche Strukturen) behindert (gemacht) werden, gehen die Mad Studies davon aus, dass Menschen durch gesellschaftliche Strukturen, insbesondere durch psychiatrische Diagnosen, ‚verRückt‘ gemacht, bzw. in den Worten von Eliah Lüthi, „aus der Norm verrückt“ werden (2022, S. 436). Die Mad Studies verwerfen somit Wissen von ‚psychisch kranken‘ Menschen nicht als irrational, wahnhaft oder uneinsichtig, sondern nehmen die Perspektiven Psychiatrieerfahrener Menschen zum Ausgangspunkt. So kann VerRücktheit als etwas erscheinen, das als besondere Begabung oder einzigartige Perspektive auf die Welt erlebt wird oder als etwas, das eine*n zwar in Teilen (z.B. hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe oder Leistungsfähigkeit) einschränkt, aber gleichzeitig in anderer Hinsicht eine besondere Gabe darstellt. Außerdem analysieren die Mad Studies die Strukturen, die VerRücktheit erst mit produzieren.
Weiterhin sind zentrale Inhalte der Mad Studies die Gewaltförmigkeit der Institutionalisierung z.B. in Form von Zwangseinweisungen oder Absonderung psychisch Kranker, aber auch der Ausweitung von Diagnostik, Medikalisierung usw. über die Grenzen der Psychiatrie hinaus. Dabei werden auch Zusammenhänge zwischen Psychiatrisierung, Kriminalisierung und Unterdrückungsformen wie Rassismus und Sexismus thematisiert. Die Mad Studies werfen auch einen kritischen Blick auf Konzepte wie der informierten Zustimmung oder Compliance bzw. der ‚Einsicht‘ in die eigene ‚Krankheit‘ usw. Auch das Entwickeln eigener Unterstützungsstrukturen und -strategien sowie kritische Selbstreflexion dieser ist Teil von Mad Studies. Es geht also sowohl um eine Kritik an einer sanistischen Gesellschaft als auch um das Schaffen konkreter, lebbarer Alternativen zum Psych-System (z.B. im Rahmen von Anti-Psychiatrie- oder Statt-Psychiatrie-Ansätzen).