Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen

Stereotype sind ‚typische‘ Merkmale und Eigenschaften, die man Personengruppen unterstellt. Damit kann man sie als Ganzes und nicht mehr als einzelne Person begreifen. Stereotype sind oft mit Vorurteilen verbunden. Man nimmt dann an, dass ein Personengruppe so ist und nicht anders. Wenn man Frauen und Männer Eigenschaften und Merkmale unterstellt, dann nennt man das Geschlechterstereotype. Die meisten Gesellschaften haben Stereotype, also Regeln darüber, was als ‚männlich‘ und als ‚weiblich‘ gilt und wie sich Männer und Frauen verhalten sollen. Diese Regeln sagen dann auch, welche Aufgaben Männer und Frauen in einer Gesellschaft haben sollen. Das nennt man dann Geschlechterrolle. Früher durften Frauen nicht arbeiten und sollten sich nur um die Kinder und den Haushalt kümmern. Das war dann ‚weiblich‘. Wenn Sie Lohnarbeit nachgingen, war das ‚unweiblich‘. Früher mussten Männer arbeiten und sollten sich nicht um die Kinder und den Haushalt kümmern. Das war sonst ‚unmännlich‘. Mit ‚Frau‘ und ‚Mann‘ waren immer auch Regeln zum Aussehen und zum Verhalten verbunden. Frauen sollten keine Hosen anziehen, sondern Kleider tragen und lieb und brav sein. Sonst sind sie ‚unweiblich‘. Männer dürfen sich nicht schminken und dürfen nur bestimmte Gefühle zeigen (z.B. Wut), sonst sind sie ‚unmännlich‘.

Stereotype basieren auf kulturell geteilten Vorstellungen über eine bestimmte Gruppe, wobei diese Gruppe nicht natürlich vorgegeben ist, sondern gerade auch durch den Prozess der Stereotypisierung erst als in sich einheitlich konstruiert wird. Stereotypen sind vermeintlich ‚typische‘ oder charakteristische Merkmale und Eigenschaften einer solch sozial konstruierten Gruppe wie z.B. einer ethnischen Gruppe oder von Männern oder Frauen. Sie stellen vermeintlich dar, was das Wesen dieser Gruppe ist, was sie ausmacht.

Geschlechterstereotype haben dabei zwei Funktionen: Erstens geben sie vor, zu beschreiben, wie Männer bzw. Frauen tatsächlich sind; zweitens schreiben sie vor, wie Männer und Frauen zu sein haben, bzw. wie eine individuelle Person sich verhalten, kleiden usw. muss, um auch als ‚echter Mann‘ oder ‚echte Frau‘ erkennbar zu sein und Anerkennung zu finden.

Der Begriff der Geschlechterrolle ist eng mit dem des Geschlechterstereotyps verwandt. Auch Geschlechterrollen beruhen auf kulturell bzw. sozial geteilten Vorstellungen über Eigenschaften von Männern und Frauen. Auf Basis dieser vermeintlichen Eigenschaften wird dann erwartet, dass Männer und Frauen je spezifische, unterschiedliche Aufgaben innerhalb der Gesellschaft übernehmen, traditionell z.B. Männer die Produktion (Lohnarbeit, Schaffen von Mehrwert) und Frauen die Reproduktion (Haushalt, Kindererziehung). Menschen werden also aufgrund des ihnen zugeschriebenen Geschlechterstatus (Mann/Frau) einer entsprechenden Rolle zugeordnet. Diese Rollen wie z.B. in der geschlechtlichen Arbeitsteilung stehen seit längerem in der Kritik. Trotz diverser Bemühungen diese zu verändern, halten sich bestimmte Rollenvorstellungen und Praxen im Alltag jedoch hartnäckig.

Geschlechterstereotype verbinden inhaltlich mit Frauen/Weiblichkeit vor allem Wärme, Expressivität/Emotionalität, Gemeinschaftssinn, Passivität, während Männer/Männlichkeit eher mit Prinzipien wie Instrumentalität, zielgerichteter Kompetenz und Handlungsmacht/Selbstbehauptung, Aktivität assoziiert werden. Hier zeigt sich eine Art Wechselwirkung zwischen Rollen und Stereotypen: So wird Frauen u.a. die Rolle der Mutter/Hausfrau und/oder Berufen mit niedrigem Status zugeschrieben und daraus resultiert dann die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen als emotional, warm usw. Diese stereotypen Eigenschaften wiederum dienen der Legitimierung der Einschränkung auf die entsprechenden Rollen. Geschlechterstereotype sind somit auch Vorurteile, die Individuen im Laufe der Sozialisation, u.a. aufgrund von vorgelebten Rollen und medialen Darstellungen verinnerlichen.

Menschen mit Behinderung wachsen mit denselben Geschlechterstereotypen und -rollen auf, jedoch wurden und werden diese nur teilweise auf sie übertragen. So wird von Frauen mit Behinderungen, insbesondere mit geistigen Behinderungen, nicht erwartet, dass sie Mutter werden. Auch stehen die Stereotype zu Männlichkeit (Kompetenz, Stärke, Handlungsmacht usw.) im Widerspruch zu stereotypen Vorstellungen über Behinderung (Inkompetenz, Schwäche, Abhängigkeit), sodass Männern mit Behinderung ihre Männlichkeit häufig abgesprochen wird. Männer und Frauen mit Behinderungen haben darauf unterschiedlich reagiert: entweder sie fordern die Anerkennung als ‚echte‘ Männer und ‚echte‘ Frauen ‚trotz‘ Behinderung ein oder sie nutzen ihre paradoxe Situation auch als Chance, um Geschlechterstereotypen infrage zu stellen und von sich zu weisen.


Literatur

  • Eckes, Thomas (2008): Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In: Becker, Ruth/Kortendieck, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. Auflage, S. 171-182.
  • Exner, Karsten (1997): Deformierte Identität behinderter Männer und deren emanzipatorische Überwindung In: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Geschlechterdifferenz in der Sonderpädagogik: Forschung – Praxis – Identität. Hamburg: LIT-Verlag, S. 67-87.
  • Köbsell, Swantje (2009): „Passives Akzeptieren“ und „heroische Anstrengung“ – zum Zusammenspiel von Behinderung und Geschlecht. In: Behindertenpädagogik, H. 3, S. 250 262.