Coming-out

Ein Coming-out ist ein Prozess, bei dem Menschen nach und nach kennenlernen und verstehen, welche sexuelle Orientierung sie haben oder welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Ein Schritt vom Coming-Out ist, dass man der eigenen Familie und den Freund*innen aber auch anderen Menschen seine sexuelle Orientierung oder das Geschlecht mitteilt. Das nennt man dann: sich outen. Dadurch kann es dazu kommen, dass die Familie, die Freund*innen oder die Gesellschaft eine*n nicht mehr akzeptiert oder auch beginnt, eine*n zu diskriminieren. Ein Coming-Out kann aber auch guttun, weil dafür z.B. andere Menschen eine*n so akzeptieren, wie man ist und man Anerkennung und neue Freundschaften in der LSBTIQA*-Community finden kann. Heterosexuelle Menschen müssen sich bisher noch nicht outen, weil man immer noch davon ausgeht, dass Heterosexualität normal ist. Daher outen sich vor allem die Menschen, die nicht heterosexuell sind oder sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren.

Unter einem Coming-Out wird ein mehrstufiger Prozess verstanden, in dem Menschen, die aus der heterosexuellen Norm fallen, sich dessen in der Regel zunächst innerlich bewusst werden, sich damit auseinandersetzen und dies ggf. als Teil ihrer Persönlichkeit akzeptieren. Seit den Stonewall Riots steht das Coming-Out auch für den Schritt, sich öffentlich zu seiner Homo– bzw. Bi-, Inter-, Trans– oder Pansexualität zu bekennen (vorher bezog sich ein Coming-Out lediglich auf das sich-zu-Erkennengeben gegenüber anderen Schwulen oder Lesben). Das Coming-Out als öffentliches Bekenntnis wurde somit auch zu einem emanzipatorischen und politischen Akt.

In einer heteronormativen Gesellschaft sollen damit andere Lebensweisen sichtbar gemacht, die Norm mit der tatsächlich existierenden sexuellen Vielfalt konfrontiert und eine kollektive politische Stimme als Vorbedingung für eine soziale Bewegung ermöglicht werden. Das Coming-Out hat neben der politischen auch eine psychologische Funktion. Denn das Verbergen der eigenen Identität und das damit einhergehende ‚Versteckspielen‘ oder Sich-Verstellen bringt psychische Belastungen mit sich, wie z.B. Scham, Isolation oder Stress. Ein Coming-Out kann dem Abhilfe schaffen, insofern es Selbstakzeptanz, Halt und Unterstützung der Familie oder der eigenen (lesbischen, bisexuellen, schwulen, queeren, etc.) Community und einen offenen Umgang im sozialen Umfeld bewirken kann. Andererseits birgt das Coming-Out auch Risiken: So kann es mit Ablehnungen, dem Verlust sozialer Kontakte, Mobbing und offener Diskriminierung einhergehen. Auch stellt das Coming-Out nicht nur eine Befreiung von der Heteronorm dar, sondern gleichzeitig eine sekundäre Sozialisation in die lesbische, bisexuelle, schwule (les-bi-schwul) oder queere Community, die wiederum ein ‚sich-Anpassen-müssen‘ an subkulturelle Normen mit sich bringt. Eine solche Sozialisation findet z.B. in Coming-Out-Gruppen statt. Ein Coming-Out ist zudem ein lebenslanger Prozess, da sich in verschiedenen Kontexten, z.B. bei einem Arbeitsplatzwechsel immer wieder die Frage stellt, ob und wie man sich dem Umfeld offenbart.

Ein Coming-Out wird in der Regel am besten mit Unterstützung der Community bewältigt. Behinderungen können ein Coming-Out erschweren, weil die Räume der les-bi-schwulen oder queeren Communitys häufig nicht barrierefrei gestaltet sind. Darüber hinaus werden Menschen mit Behinderungen auch teilweise aufgrund von ableistischen Schönheitsidealen ausgegrenzt.

Nicht-heterosexuelle Menschen mit Behinderung finden häufig in behindertenbewegten Kontexten keine Unterstützung beim Coming-Out und werden in les-bi-schwulen und queeren Kontexten subtil oder offen ausgegrenzt, und sitzen somit ‚zwischen den Stühlen‘. Teilweise haben sie daher eigene Gruppen oder Organisationen für les-bi-schwule oder queere Menschen mit Behinderungen gegründet, in denen sie mit allen Aspekten ihrer Person Akzeptanz finden können. Dem sind allerdings aufgrund ihrer relativ geringen Anzahl und damit verbunden geringen Ressourcen Grenzen gesetzt. In jedem Fall ist es für die Teilhabe von les-bi-schwulen und queeren Menschen mit Behinderung unabdingbar, dass les-bi-schwule und queere Räume inklusiv gestaltet werden.


Literatur

  • Cass, Vivienne (1979): Homosexual identity formation: A theoretical model. In: Journal of Homosexuality, 4. Jg., H. 3, S. 219-235.
  • Eggli, Ursula (2005): „Frau, Lesbe, behindert, Unterschicht – ein wunderbares Leben!“ Die Schriftstellerin Ursula Eggli über ihren Kampf um Liebe und Sexualität. In: Curaviva, 12, S. 2 5.
  • Krell, Claudia/Oldemeier, Kerstin (2015): Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen. München: Deutsches Jugendinstitut e.V.
  • Legate, Nicole u.a. (2012): Is Coming Out Always a „Good Thing“? Exploring the Relations of Autonomy Support, Outness, and Wellness for Lesbian, Gay, and Bisexual Individuals. In: Social Psychology and Personality Science, 3. Jg., H. 2, S. 145-152.
  • Löfgren-Martenson, Lotta (2009): The Invisibility of Young Homosexual Women and Men with Intellectual Disabilities. In: Sexuality & Disability, 27. Jg., S. 21-26.
  • Teichert, Gesa C. (2014): Lesben und Schwule mit Behinderung – Wo können vielfältige Identitäten eine Heimat finden? Eine umfassende Idee von Barrierefreiheit aus der Perspektive der Intersektionalität. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. Bielefeld: transcript, S. 185-197.
  • Woltersdorff, Volker alias Lore Logorrhöe (2012): Coming-out: Strategien schwuler Selbstbehauptung seit Stonewall. In: Queer Lectures, 5. Jg., H. 12, S. 7-42.