Divers

Der Begriff „divers“ wurde 2018 als drittes Geschlecht in Deutschland eingeführt. Somit gibt es in Deutschland rechtlich gesehen drei Geschlechter: das männliche, das weibliche und das diverse Geschlecht. Man hat das dritte Geschlecht eingeführt, weil manche Menschen bei Geburt nicht eindeutig als Mann oder als Frau identifiziert werden können, aber es Gesetz ist, dass man gleich bei der Geburt das Geschlecht in die Geburtsurkunde einträgt. Seit 2013 konnte man diesen Eintrag offenlassen. 2018 hat das Bundesverfassungsgericht aber ein Urteil gesprochen, dass es möglich sein muss, auch ein anderes, drittes Geschlecht in die Geburtsurkunde oder in den Pass eintragen zu lassen. Divers als drittes Geschlecht gilt damit vor allem für intergeschlechtliche Personen, kann aber möglicherweise auch bald für transgeschlechtliche Menschen gelten. 

In Deutschland ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass in die Geburtsurkunde ein Geschlecht eingetragen wird, der sogenannte Personenstand. Lange Zeit gab es nur die beiden Optionen „weiblich“ und „männlich“. Seit 2013 war es möglich, den Eintrag bei intergeschlechtlich geborenen Kindern offen zu lassen. 2018 wurde eine dritte Option eingeführt. Nun ist auch ein Eintrag des Geschlechts als „divers“ nach §45b PStG „Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ möglich.

Hintergrund dieser Gesetzesreform war eine Klage einer intergeschlechtlichen Person beim Bundesverfassungsgericht. Der*die Kläger*in argumentierte u.a., dass ein fehlender Geschlechtseintrag – die bis dato einzige Möglichkeit, einen Eintrag als männlich oder weiblich zu vermeiden – unterstellen würde, dass die betreffende Person kein Geschlecht habe. Der*die Kläger*in argumentierte hingegen, dass intergeschlechtliche Personen durchaus ein Geschlecht haben, auch wenn es weder männlich noch weiblich ist.

Das Bundesverfassungsgericht gab dem*der Kläger*in recht, indem es urteilte, dass wenn der Gesetzgeber auf einem rechtlichen Geschlechtseintrag besteht und es mehr als zwei (biologische) Geschlechter gibt, der Gesetzgeber dann auch mehr als zwei Optionen zur Verfügung stellen muss. Alternativ wäre nach dem Bundesverfassungsgericht auch die Abschaffung des Personenstands eine geeignete Lösung gewesen.

Der Hintergrund der Klage war vor allem, eine Grundlage für die Wahrung der körperlichen Integrität von intergeschlechtlichen, nicht zustimmungsfähigen Kindern zu schaffen, also perspektivisch ein Verbot für alle kosmetischen, nicht medizinisch notwendigen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern zu bewirken. Ein solches „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ wurde 2021 verabschiedet (§ 1631e BGB), jedoch von Vereinigungen intergeschlechtlicher Menschen sowie vom Deutschen Institut für Menschenrechte als unzulänglich kritisiert.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts äußerten sich sowohl intergeschlechtliche als auch transgeschlechtliche Selbstvertretungsorganisationen mit Vorschlägen oder Forderungen zur konkreten Umsetzung des Urteils, die allesamt die Selbstbestimmung beider Gruppen zum Ziel hatten. Vorschläge waren u.a. die Abschaffung des Personenstands oder alternativ keine Benennung der dritten Option vorzuschreiben, sondern jeder Person selbst zu überlassen, welche konkrete Geschlechtsbezeichnung eingetragen wird. Der Gesetzgeber jedoch entschied sich für einen anderen Weg und bezog Interessensvertretungen der betroffenen Gruppen nicht in die Entscheidungsfindung mit ein. Das Gesetz ist im Gegenteil gerade darauf angelegt, geschlechtliche Selbstbestimmung weiterhin zu verhindern. Bereits die Bezeichnung „divers“ stellt keine übliche Selbstdefinition von inter- oder transgeschlechtlichen Menschen dar. Vor allem müssen Antragsteller*innen für die Beantragung des Geschlechtseintrags „divers“ nach §45b Abs. 3 PStG beim Standesamt ein ärztliches Attest vorlegen, das bestätigt, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. In Fällen, in denen keine Unterlagen über medizinische Behandlungen vorliegen und die Variante nur noch durch eine „unzumutbare Untersuchung“ nachweisbar wäre, können Antragsteller*innen ihren Status auch eidesstattlich versichern.

Aus dem Gesetzestext geht somit indirekt hervor, dass diese dritte Option für intergeschlechtliche Menschen eingeführt wurde und für einen entsprechenden Eintrag das Vorliegen einer Intersexualität prinzipiell medizinisch nachweisbar sein muss. Die Autorität und Definitionsmacht über Geschlecht verbleibt so bei der Medizin als Institution. Der Gesetzestext bietet mit der Formulierung „Variante der Geschlechtsentwicklung“ jedoch Interpretationspielraum. Wenn man dies auch auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität beziehen würde, könnten in der Praxis auch trans* Personen von diesem Eintrag Gebrauch machen.


Literatur

  • BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16-, Rn. 1-69
    Online unter www.bundesverfassungsgericht.de/…, Stand: 11.11.2021
  • Deutsches Institut für Menschenrechte (2021): Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung.
    Online unter www.bundestag.de/…, Stand: 11.11.2021
  • Groß, Melanie/Niedenthal, Katrin (Hrsg.) (2021): Geschlecht: divers. Die „Dritte Option“ im Personenstandsgesetz – Perspektiven für die Soziale Arbeit. Bielefeld: transcript.
  • Intersexuelle Menschen e.V. (2020): Stellungnahme zum weiteren Gesetzgebungsverfahren eines „Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“.
    Online unter im-ev.de/…, Stand: 11.11.2021
  • OII Germany (2018): Geschlechtseintrag „Weiteres“ ist kontraproduktiv.
    Online unter oiigermany.org/…, Stand: 11.11.2021
  • OII Germany (2020): Stellungnahme IVIM - OII Germany zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” vom 23.09.2020.
    Online unter oiigermany.org/…, Stand: 11.11.2021