Biologisches Geschlecht

Unter biologischem Geschlecht versteht man die Einordnung eines Menschen in männlich oder weiblich anhand medizinischer und biologischer Merkmale. Solche Merkmale sind z.B. Chromosomen, Hormone und die anatomisch von außen sichtbaren Geschlechtsteile. Viele dieser Merkmale kann man aber nicht direkt von außen sehen, weil sie durch unsere Kleidung verdeckt werden. Deswegen ordnen viele Menschen andere Personen aufgrund ihrer Frisur oder ihrer Kleidung in männlich oder weiblich ein. Manchmal sagt man auch, dass sich ein Mensch männlich oder weiblich verhält und deswegen ein Mann oder eine Frau ist. Das ist aber nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht.

Das biologische Geschlecht (englisch: sex) wird in Unterscheidung zum sozialen Geschlecht (englisch: gender) und zur Geschlechtsidentität (englisch gender identity) anhand von körperlichen Merkmalen und biologisch bestimmbaren Faktoren wie Chromosomen, Hormonen, Keimdrüsen, Genitalien und Hormonen bestimmt.

Die moderne westliche Biologie und Medizin bestimmt Geschlecht anhand von vier Kriterien:

  1. Anatomie: was für sichtbare Genitalen liegen vor? (Klitoris bis zu einer bestimmten Größe/Vulva= weiblich, Penis ab einer bestimmten Größe= männlich)
  2. Welche Keimdrüsen liegen vor? (Eierstöcke= weiblich, Hoden= männlich)
  3. Welcher Chromosomensatz liegt vor? (XX= weiblich, XY= männlich, XO, XXY etc.= intersexuell)
  4. Hormonspiegel (Überwiegen Östrogene u.a. „weibliche“ Hormone oder das „männliche“ Hormon Testosteron?)

Bei manchen Kriterien gibt es fließende Übergänge und nicht immer stimmen alle Kriterien überein; so gibt es z.B. XY-Frauen, also Frauen, die einen männlichen Chromosomensatz aufweisen, während andere Merkmale des Körpers als eher weiblich eingestuft wurden. Wenn bei oder nach der Geburt das Geschlecht nicht eindeutig als männlich oder weiblich bestimmt werden kann, spricht die Medizin von Intersexualität.

Bei der Geburt sind nicht alle Kriterien direkt sichtbar oder identifizierbar und im Alltag sind in der Regel auch Genitalien durch Kleidung bedeckt, sodass im Alltag die Zuordnung zu einem Geschlecht vor allem anhand anderer körperlicher Merkmale (z.B. Brustansatz, Schulterbreite, etc.) sowie der Darstellung des Geschlechts anhand von Kleidung, Frisur, Körperhaltung, Verhalten usw. erfolgt. In der Geschlechterforschung wird daher häufig in das biologische Geschlecht und das soziale Geschlecht unterschieden. Diese Unterscheidung soll verdeutlichen, dass aus dem biologischen Geschlecht nicht automatisch eine bestimmte soziale Rolle, Verhalten, Interessen, Persönlichkeit usw. folgen muss, sondern Vorstellungen über die Geschlechter historisch und kulturell wandelbar sind. So ist Fürsorglichkeit nicht durch weibliche Hormone oder Gebärfähigkeit verursacht, sondern durch die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Gesellschaft und damit einhergehender Sozialisation bedingt..

Kritisiert wird an der Unterscheidung in biologisches und soziales Geschlecht hingegen, dass diese dazu geführt hat, dass das biologische Geschlecht als gegeben, bzw. als „natürlich“ gesehen wird. Hingegen untersuchen einige Strömungen der Geschlechterforschung, wie auch das biologische Geschlecht insofern das Ergebnis sozialer Prozesse ist, wenn z.B. eine große Vielfalt von Körpern in genau zwei unterschieden wird. Die feministische Biologie hat u.a. herausgearbeitet, dass auch das biologische Geschlecht eher ein Kontinuum ist und hat deshalb vorgeschlagen, sich vom Zweigeschlechter-Modell zu verabschieden und Intergeschlechtlichkeit (Verweis) als Teil natürlicher Geschlechtervielfalt zu akzeptieren.

Im Trans*-Kontext wird der Begriff „biologisches Geschlecht“ auch kritisiert, weil er zu unterstellen scheint, dass das Geburtsgeschlecht „natürlich“ ist und trans* Körper „künstlich“, obwohl sie wie alle Körper aus biologischem Material bestehen. Hier wird daher häufig vom Geburtsgeschlecht oder bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht gesprochen.

Die Unterscheidung einer körperlichen und einer sozialen Ebene in der Geschlechterforschung wird auch in den Disability Studies genutzt. Hier spricht man dann von impairment (Beeinträchtigung) und disability (Behinderung). Auch hier kann diese Unterscheidung einerseits den Blick dafür schärfen, welche Barrieren die Gesellschaft aufbaut und die Teilhabe beeinträchtigt, z.B. wenn man Türen nicht breit genug baut, dass Rollstühle durchpassen oder Kinos keine Aufzüge haben, dass gehbeeinträchtigte Menschen nicht ins Kino können. Andererseits kann aber dadurch aus dem Blick geraten, inwiefern auch Beeinträchtigungen menschengemacht sind, da z.B. die Aufteilung in leistungsfähige und sog. behinderte Körper keineswegs von der Natur vorgegeben, sondern durch gesellschaftliche Strukturen entstanden ist, z.B. werden Körper in einer kapitalistischen Gesellschaft danach kategorisiert und beurteilt, was sie (tatsächlich oder vermeintlich) zum Arbeitsmarkt beitragen können.


Literatur

  • Gildemeister, Regine (2008): Soziale Konstruktion von Geschlecht: „Doing gender“. In: Wilz, Sylvia Marlene (Hrsg.): Geschlechterdifferenzen – Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 167-198.
  • Fausto-Sterling, Anne (1993): The Five Sexes: Why Male and Female are not enough. In: The Sciences (March-April), S. 20-24.
  • Fausto-Sterling, Anne (2000): Sexing the Body – Gender Politics and the Construction of Sexuality. New York: Routledge.
  • Voss, Heinz-Jürgen (2010): Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Bielefeld: transcript.
  • Waldschmidt, Anne (2007): Die Macht der Normalität. Mit Foucault „(Nicht-)Behinderung“ neu denken. In: Anhorn, Roland et al. (Hrsg.): Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit. Eine kritische Einführung und Bestandsaufnahme. Wiesbaden: VS Verlag, S. 119-133.