Bildung

Unter Bildung versteht man einerseits das, was man in der Schule lernt. Also Wissen und Fähigkeiten für den Beruf, zum Beispiel lesen, schreiben und rechnen. Bildung ist andererseits aber auch all das Wissen, was man im Leben allgemein braucht. Bildung ist also auch, wie man sich im Alltag zurechtfindet, wie man mit Streit und Konflikten umgeht und so weiter.

Das im Alltag dominierende Verständnis von Bildung meint in erster Linie schulisches Lernen und somit den Erwerb von Wissen und gesellschaftlich bzw. arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen, wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. In der Erziehungswissenschaft bzw. Sozialen Arbeit wird Bildung allerdings weiter gefasst: Es geht um eine ganzheitliche Bildung, die sich nicht nur auf formale Bildungsaspekte stützt, sondern verschiedene Kompetenzen umfasst. Im 12. Kinder- und Jugendbericht der damaligen Bundesregierung wird Bildung wie folgt definiert: „Bildung ist ein umfassender Prozess der Entwicklung einer Persönlichkeit in der Auseinandersetzung mit sich und ihrer Umwelt. Das Subjekt (…) eignet sich die Welt an und ist dabei auf bildende Gelegenheiten, Anregungen und Begegnungen angewiesen (…)“ (BMFSFJ 2005, S. 31). Bildung ist in diesem umfassenden Verständnis ein aktiver Prozess. Kinder und Jugendliche eignen sich die Welt an, in der sie leben, und sind dabei auf entsprechende Anregungen und soziale Interaktionen angewiesen. Aus diesem Grunde kommt der Gestaltung von Erfahrungs- und Lernräumen eine wichtige Bedeutung zu.

Auf Basis von Bildungsprozessen entwickelt das Subjekt soziale, emotionale, kognitive, handwerkliche, technische, ästhetische und lebenspraktische Fähigkeiten und Kenntnisse. Beispielsweise gehört dazu auch, für sich und seine Umwelt Verantwortung zu übernehmen, zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten sowie kritikfähig zu sein. Ziele von Bildungsprozessen sind demnach auch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, zu Mitbestimmung und Solidarität (vgl. Theunissen 2009, S. 244). Generell werden hierzu vier Ebenen von Kompetenzen unterschieden (vgl. BMFSFJ 2005, S. 32; Rauschenbach 2005, S. 18):

  • Kulturelle Kompetenzen (die sprachlich-symbolischen Fähigkeiten, das kulturelle Wissen bzw. das „kulturelle Erbe“ einer Gesellschaft anzueignen und sich in der Welt zurechtfinden. Dieses Wissen wird i.d.R. über Sprache angeeignet, aber auch über andere Medien wie Kunst, Musik, audiovisuelle Kommunikation usw.)
  • Instrumentelle Kompetenzen (die Fähigkeit, sich in der stofflich-gegenständlichen Welt zu bewegen und das Angebot an Waren und Produkten angemessen nutzen zu können; dazu zählt ebenso, mit Medien umgehen zu können)
  • Soziale bzw. kommunikative Kompetenzen (sich mit anderen verständigen zu können, an der sozialen Welt teilzuhaben, an der Gestaltung des Gemeinwesens mitzuwirken; nötig sind dazu kommunikative Fähigkeiten, Fähigkeiten zum Aufbau sozialer Beziehungen, moralische Urteilsfähigkeit, usw.).
  • Personale Kompetenzen (ästhetisch-expressive Fähigkeiten, eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Lebensstil zu entwickeln, sich als Person einbringen können, Verantwortung lernen können, usw.).

Es wird deutlich, dass Bildung auch außerhalb der Schule stattfindet. Entsprechend wird im 12. Kinder- und Jugendbericht explizit auf die Wichtigkeit außerschulischer Bildungsprozesse hingewiesen, „d.h., dass Lernen diesseits und jenseits der Schule und des Unterrichts stattfindet“ (BMFSFJ 2005, S. 28f.).

Bildungsprozesse finden in verschiedenen Lebensbereichen und an unterschiedlichen Orten statt. Hierbei werden wiederum drei Ebenen unterschieden: Formale Bildungsorte, non-formale Bildungsorte und die sogenannte informelle Bildung (vgl. BMBF 2004). Informelle Bildungsprozesse laufen beispielsweise in alltäglichen Situationen oft unbemerkt und „nebenher“ ab. Von dieser informellen Bildung lassen sich Räume und Institutionen unterscheiden, in denen Bildungsprozesse geplant und pädagogisch initiiert werden. Dazu gehört in erster Linie die Schule, in welcher in einem formalen, verpflichtenden Rahmen curricular vorgegebene Inhalte vermittelt werden. Zuletzt wird von dieser formalen Bildung die non-formale Bildung unterschieden, welche zwar ebenfalls im Rahmen eines pädagogischen Settings geplant und initiiert wird, jedoch in einem freiwilligen und thematisch offenen Rahmen abläuft.

In diesen Kontext lässt sich die Kinder- und Jugendarbeit als Teil der Sozialen Arbeit einordnen, denn sie gilt als „Spezialist für offene, ganzheitliche und individualisierende Zugänge neben den anderen Zugängen innerhalb des Bildungswesens“ (Thiersch 2011, S. 170).  Die Kinder- und Jugendarbeit bietet durch ihre Prinzipien der Offenheit, Freiwilligkeit, Lebensweltorientierung und Partizipation vielfältige non-formale sowie informelle Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche (vgl. Delmas 2005).

Das Thema Bildung spielt eine große Rolle in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen oder anderen Beeinträchtigungen, vor allem im Kontext der Debatten über ein inklusives Schulsystem. Dahinter steht die Grundannahme, dass jeder Mensch das Potential hat, sich zu entwickeln und zu entfalten. Kurz: sich zu bilden und gebildet zu werden. Alle Menschen sind „unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Anlagen, aber auch ungeachtet ihrer durch günstige oder ungünstige Faktoren beeinflussten Entwicklungsmöglichkeiten“ (Antor/Bleidick 2006, S. 22) lernfähig bzw. bildsam. Deshalb müssen jedem Menschen förderliche Bedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten für erfolgreiche Bildungsprozesse zur Verfügung gestellt werden. Das Recht auf Bildung ist seit 1948 in der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ der Vereinigten Nationen verankert und damit allgemeines Menschenrecht: „Folglich darf kein Personenkreis von diesem Anspruch ausgeschlossen werden – und zwar unabhängig von der Schwere oder Art der Behinderung“ (Theunissen 2009, S. 245). Außerdem hat sich Deutschland durch die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 u.a. dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem einzuführen. In diesem Kontext muss auch der Bildungsauftrag der Kinder- und Jugendarbeit gesehen werden.


Literatur

  • Antor, Georg/Bleidick, Ulrich (2006): Bildung, Bildungsrecht. In: Antor, Georg/Bleidick, Ulrich (Hrsg.): Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2. Auflage, S. 18-26.
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2004): Konzeptionelle Grundlagen für einen Nationalen Bildungsbericht - Non-formale und informelle Bildung im Kindes- und Jugendalter. Bildungsreform Band 6, Berlin.
    Online unter d-nb.info/…, Stand: 11.01.2022
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/6014, 15. Wahlperiode, Berlin.
    Online unter www.bmfsfj.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Delmas, Nanine (2015): Offene Jugendarbeit als Bildungsort. Fachforum: „Orte der Bildung im Stadtteil“ – Dokumentation zur Veranstaltung am 16. und 17. Juni 2005 in Berlin.
    Online unter www.eundc.de/…, Stand: 11.01.2022
  • Rauschenbach, Thomas (2005): Jugendarbeit – Bildungsarbeit. In: ProjektArbeit. Projekte, Konzepte, Ideen für die Jugendarbeit und Jugendbildung, 4. Jg., Heft 1/2005, S. 6-20.
  • Theunissen, Georg (2009): Empowerment und Inklusion behinderter Menschen. Eine Einführung in Heilpädagogik und Soziale Arbeit. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag, 2. Auflage.
  • Thiersch, Hans (2011): Bildung. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. München: Reinhardt Verlag, 4. Auflage, S. 162-173.